Rosenheim / Hamburg – Sie schreien wieder! Nach langer Corona-Pause und Monaten im eingeschränkten Pandemiebetrieb ist der Hamburger Fischmarkt wieder in vollem Umfang möglich. Damit dürfen auch die Marktschreier wieder endlich lauthals ihre Waren anpreisen. Und der Hamburger Fischmarkt geht auch wieder auf Reisen. In München macht er von 26. Mai bis 6. Juni am Wittelsbacherplatz Station. Auch in Rosenheim waren die Marktschreier schon mal vor vielen Jahren zu Gast – vielen Rosenheimer kam diese Art der Warenanpreisung aber eher ein wenig seltsam vor. Was den Reiz des Hamburger Fischmarkts tatsächlich ausmacht – dazu hier ein Gastartikel unseres Hamburger Kollegen Sven Holger Wolf.
Autor: Journalist Sven Holger Wolf aus Hamburg.
Wer morgens über den Grünen Markt in Rosenheim schlendert und mal hier einen Radi kauft, dort ein Stück leckeren Käse, und gern am Wurststand mit der freundlichen Marktfrau ratscht – der wird bei einem Besuch des Hamburger Fischmarktes einen Kulturschock erleiden und glauben, er wäre plötzlich in ein Bürgerkriegsgebiet geraten: Aus den Marktbuden brüllen Verkäufer so laut wie Panzergeneräle und erinnern mit ihrem vorlauten Mundwerk an Verleihnix, den Fischhändler aus den „Asterix“-Comics.
Am 3. April eröffnete nun in der Hansestadt der legendäre Fischmarkt nach 15 Monaten Corona-Unterbrechung und 8 Monaten eingeschränktem Pandemiebetrieb zum ersten Mal wieder in seiner traditionellen Form – mit „Aale-Dieter“, „Wurst-Achim“, „Käse-Tommy“, „Bananen-Fred“, Schnittblumen, Fischbrötchen und voller Marktauslastung mit etwa 150 Ständen auf 21 000 Quadratmetern und 35 000 Besuchern – bei bombiger Stimmung: Die Händler, die ihre Waren endlich wieder schreiend anbieten konnten, überboten sich gegenseitig beim Anpreisen ihrer Kostbarkeiten, und der eine oder die andere von ihnen dürfte an den Folgetagen wegen Heiserkeit mit einem Schal im Bett gelegen haben. Für das zuständige Bezirksamt Hamburg-Altona jedenfalls war die 2022er-Premiere des Fischmarkts in altbekannter Form und voller Auslastung mehr als geglückt: „Wir sind total zufrieden mit der Rückkehr zum Normalzustand“, freut sich Markt-Sprecher Mike Schlink.
„Die Leute wollen mit Fisch,
Bananen und Blumen beworfen werden“
„Die Leute wollen Spaß haben, sich amüsieren, sie wollen flotte Sprüche hören und mit Fisch, Bananen und Blumen beworfen werden“, freut sich Dieter Bruhn (83), der als „Aale-Dieter“ schon eine Berühmtheit war, als der Autor dieser Zeilen vor 45 Jahren Hamburg zu seiner Wahlheimat machte. 2019 wurde Bruhn sogar von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Seit nunmehr über 60 Jahren steht die Fischmarkt-Legende bereits auf dem Markt und bringt seine Aale auf unterhaltsame Weise an die Kunden. Er hält auch Verkaufs-Seminare ab und wurde von der Wirtschaftszeitschrift „Manager Magazin“ zu den zehn besten Verkäufern in Deutschland gekürt.
Hamburger Fischmarkt hat
eine lange Tradition
Die beeindruckende Mischung aus Einkaufen, Vergnügen und Schlemmen hat in Hamburg eine lange Tradition. Alles begann mit einer Magistratus-Verordnung im August 1703: Damit die Fischer, die am Wochenende vom Fang heimkehrten, „nicht in eußersten Ruin gerathen“, wurde ihnen erlaubt, „des Sonntags Morgen bis die Glocke halbe neune“, d. h. bis der Gottesdienst begann, ihre Ware in der großen Elbstraße, nahe der Hamburger Grenze, feil zu bieten.
Und so werden auch an den kommenden Sonntagen – wie seit 300 Jahren – die Händler mit den berüchtigten Hamburger „Kodderschnauzen“ ihre amüsierten Gäste mit netten Frechheiten unterhalten, die keineswegs Beleidigungen im üblichen Sinn, sondern eine spezielle Form saugrober norddeutscher Herzlichkeit sind. Wundern Sie sich bei einem Besuch also nicht, wenn ‚“Aale-Dieter“ Sie mit „Na Muddi, willste nich‘ mal von mei’m leckeren Aal naschen?“ begrüßt – oder wenn der „Holländische Blumenkönig“ Sie zur Gaudi der übrigen Besucher mit „DU hältst die Fresse!“ anraunzt, wenn Sie seine Orchideen zu teuer finden.
Info: Der Hamburger Fischmarkt findet an jedem Sonntagmorgen von 5 bis 9.30 Uhr (von Oktober bis März ab 7 Uhr) – unabhängig von Feiertagen – statt. Lediglich bei Hochwasser durch Sturmflut muss er ausfallen.
(Quelle: Artikel: Sven Holger Wolf / Beitragsbild: Symbolfoto: re)
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