Rosenheim – Seit Jahren beklagen Krankenhäuser in Deutschland eine Überlastung der Notaufnahmen. Zu den Ursachen gehört, nach Ansicht der RoMed-Kliniken, auch eine Fehlinanspruchnahme der Notfallversorgung durch Akutpatienten, die während der allgemeinen Praxisöffnungszeiten vertragsärztlich behandelt werden könnten. Wie Notaufnahmen durch die Zusammenarbeit mit Praxen vor Ort effektiv entlastet werden können, zeige ein Pilotprojekt der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) und des RoMed Klinikums Rosenheim. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek ließ sich jüngst in Rosenheim praxisnahe Lösungen zur besseren Patientensteuerung zeigen und sieht darin einen wesentlichen Beitrag zu der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Reform der Notfallversorgung.
Bei der Zusammenarbeit zwischen RoMed-Klinikum und KVB wurden alle ankommenden Patienten nach Dringlichkeit priorisiert und in fünf Gruppen eingeteilt: Patienten in den Ersteinschätzungsgruppen „sofort (rot)“, „sehr dringend (orange)“ und „dringend“ (gelb) sowie Patienten, die bestimmte Un-tersuchungen oder Behandlungen wie zum Beispiel eine Wundversorgung benötigten, werden direkt in der Notaufnahme des Klinikums behandelt. Für Patienten mit den Triagestufen „normal (grün)“ und „nicht dringend (blau)“ wurde durch eine Fachkraft der KVB zusätzlich geprüft, ob eine vertragsärztliche Behandlung möglich ist. Die Fachkraft wurde durch die Software SmED (Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland) unterstützt. Lag eine Empfehlung zur vertragsärztlichen Behandlung vor, wurde den Patienten eine Behandlung in einer nahegelegenen Haus- oder Facharztpraxis, sogenannten Kooperationspraxen, angeboten. Die Patienten wurden umgehend digital in einer geeigneten Kooperationspraxis angemeldet und dort behandelt.
Außerhalb der Praxisöffnungszeiten konnte eine große Zahl Patienten durch die am Klinikum angesiedelte Ärztliche Bereitschaftspraxis der KVB versorgt werden und damit die Abläufe in der Notaufnahme entlasten. Eine weitere Option, die Behandlung durch einen Vertragsarzt mittels Videosprechstunde über das von der KVB entwickelte System DocOnline, ist bereits in Vorbereitung. Im Kontext der Studie wurde festgestellt, dass ein erheblicher Anteil der Patienten, die sich selbstständig in der Notaufnahme vorgestellt hatten, auch mittels einer Videotelefonie abschließend behandelt werden konnten.
Klaus Holetschek, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege: „Ich begrüße die konstruktive Zusammenarbeit von Kliniken und niedergelas senen Ärzten. Das Pilotprojekt in Rosenheim weist den Weg für eine qualitative Verbesserung der Akut- und Notfallversorgung in Bayern und liefert eine Blaupause für geplante Notfallreformen auf Bundesebene. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Notaufnahmen der Kliniken entlastet werden können, so dass mehr Zeit und Ressourcen für Notfälle zur Verfügung stehen. Und die Patienten mit akuten Beschwerden können zeit- und sachgerecht durch Praxen versorgt werden, wo auch eine eventuelle Folgebehandlung möglich ist. Dabei ist die Digitalisierung ein wichtiger Baustein. Denn durch die Videotelefonie und die Telemedizin können sowohl Ärzte als auch Patienten profitieren. Ich ermutige die Kliniken und die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, diesen Weg fortzusetzen, und würde mir wünschen, dass das Beispiel aus Bayern bundesweit Schule macht.“
Dr. Michael Bayeff-Filloff, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am RoMed Klinikum Rosenheim: „Dieses gestufte Verfahren kann ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Notaufnahmen von weniger schweren Fällen sein. Keine Patientin und kein Patient wird abgewiesen, alle erhalten genau die Versorgung, die für ihr medizinisches Problem notwendig ist. Von den selbsteinweisenden Patienten kann ein großer Anteil von den niedergelassenen Kollegen versorgt werden. Alle Personen mit besonderen Risiken haben wir zudem eindeutig identifiziert. Das heißt: Die Sicherheit von Patienten und eine gleichzeitige Entlastung unserer Notaufnahme durch enge Kooperation mit der Vertragsärzteschaft sind möglich. Klar ist aber auch: Große Notaufnahmen können das gestufte Verfahren nicht ohne zusätzliches Personal am gemeinsamen Tresen bewäl-igen.“
Dr. Christian Pfeiffer, Dr. Peter Heinz und Dr. Claudia Ritter-Rupp, Vorstand der KVB: „Das Pilotprojekt in Rosenheim zeigt, dass es völlig kontra-produktiv ist, Patienten, die mit leicht behandelbaren Fällen die Notaufnahme aufsuchen, auch tagsüber in kliniknahen Bereitschaftspraxen zu versorgen, wie es die Bundesregierung plant. Kooperierende umliegende Haus- oder Facharztpraxen können dies während der Praxisöffnungszeiten deutlich effektiver. Die Kollegen müssen dann auch nicht ihre Praxis schließen, um die zu besetzenden Schichten in den Bereitschaftspraxen am Klinikum zu übernehmen. Die KV Bayerns bietet den Kliniken in Bayern hierzu ihre Kooperation an. Die Versicherten sollten aber auch wissen, dass sie bei Unsicherheit, ob der Gang in die Notaufnahme sinnvoll und notwendig ist, auch die Servicenummer 116117 wählen können, um dort bereits eine Ersteinschätzung zu erhalten.“
Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi: „Die Herausforde-rung in der Akut- und Notfallversorgung besteht darin, dass die Versicherten zur richtigen Zeit am richtigen Ort behandelt werden. Die Evaluation des Pi lotprojekts zeigt, dass dieses Ziel durch die Zusammenarbeit von Notaufnahmen und Praxen erreicht wird. Unterstützt durch geeignete Software ist sie unter Alltagsbedingungen schnell und sicher umsetzbar.“
Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer:
„Aus medizinischer Sicht haben die Notfallversorgung und die Akutversorgung unterschiedliche Aufgaben. Im Notfall müssen potenziell lebensbedrohliche Zustände aufwändig diagnostiziert und schnell behandelt werden. In der Akutversorgung sollen Patienten zeitgerecht Linderung von gesundheitlichen Beschwerden erhalten. Teils reicht hier eine eingehende ärztliche Beratung, teils geht es um ein komplexeres Krankheitsgeschehen, sodass die Behandlung in die ambulante Regelversorgung eingebettet bleiben sollte. Eine strukturierte medizinische Ersteinschätzung der Behand-ungsanliegen und eine Lenkung an den richtigen Behandlungsort ermöglicht beiden Bereichen, der Notfall- und der Akutversorgung, effizient und zum Wohle der Patienten zu arbeiten. Daher unterstützt die Bayerische Landesärztekammer das Pilotprojekt in Rosenheim nicht nur als Lösungskonzept für Bayern, sondern auch als einen möglichen bundesweiten Ansatz.“
Christina Leinhos, stv. Geschäftsführerin Bayerische Krankenhausgesell-schaft e. V. (BKG): „Patientensteuerung ist der Schlüssel, um die Notauf-nahmen in den Krankenhäusern zu entlasten, wie das Modellprojekt zeigt. Denn Patienten denken nicht in Sektoren – durch eine enge Zusammenarbeit des RoMed Klinikums Rosenheim mit niedergelassenen Fach- und Hausärzten können Hilfesuchende rasch in die geeigneten Versorgungsstrukturen gelenkt werden. Wir freuen uns, dass man hier in Rosenheim mit guten Ideen vorangegangen ist.“
(Quelle: Pressemitteilung RoMed Kliniken / Beitragsbild: RoMed Kliniken)
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