Rosenheim – Die Medien stehen aktuell häufig in der Kritik. Die EU hat jüngst nun ein Medienfreiheitsgesetz verabschiedet. Innpuls.me hat Rosenheims EU-Abgeordnete Maria Noichl (SPD) gefragt, was es damit auf sich hat und wie sie die Situation der Presse vor allem in Deutschland aktuell bewertet.
Die Rosenheimer Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD). Foto: Copyright SPDSK
Frage: Frau Noichl, am 13. März haben die Europaabgeordneten endgültig grünes Licht für neue Regeln zum Schutz von Journalisten und der Medien vor politischer oder wirtschaftlicher Einflussnahme gegeben. Was besagt das Medienfreiheitsgesetz nun konkret?
Antwort: Das Europäische Medienfreiheitsgesetz (kurz: EMFA) schafft eine Reihe von Mindeststandards für den Schutz der Medienfreiheit und der redaktionellen Freiheit sowie zur Förderung des Medienpluralismus. Den gesamten Text wieder zu geben wäre zu lang, deshalb einige Beispiele – untermauert der EMFA (in Artikel 3) das in Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta verbriefte Recht europäischer Bürger Zugang zu einer Vielfalt von Medien zu erhalten. Hier müssen Mitgliedstaaten künftig die entsprechenden Rahmenbedingungen erhalten bzw. schaffen. Darüber hinaus wird das EMFA für mehr Transparenz sorgen. Sei es in der Frage des Medieneigentums (wem gehören die Zeitungen und Medien, die wir lesen – Artikel 6) oder in der Transparenz über staatliche Werbung an Medien und Online-Plattformen (hier ist Transparenz ungemein wichtig, um sogenanntes „media capture“ durch Regierungen zu verhindern und auch damit Leser wissen, wie unabhängig eigentlich über ihre Regierungen berichtet wird – Artikel 24). Des Weiteren schaffen wir Mindestregeln für die Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien, sowohl was die Einstellung/Entlassung von Führungspersonal angeht, um politische Einflussnahme zu verhindern, als auch was die Verfahren für die Festsetzung der Finanzierung des ÖRR angeht.
Frage: Wie schaut es denn aktuell mit der Medienfreiheit in Europa aus?
Antwort: In Europa läuft so Einiges aktuell nicht richtig. Der erste Blick geht hierbei natürlich nach Ungarn und nach Polen, wo es kaum mehr eine unabhängige Medienlandschafft gibt (Ungarn) bzw. der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach und nach zu einem Staatsfunk umgebaut wurde (unter der PIS-Regierung in Polen). Aber auch in den anderen Mitgliedstaaten gibt es eine Vielzahl an Problemen. Der Media Pluralism Monitor zeigt beispielsweise, dass es keinen einzigen EU-Staat mit geringem Risiko bei der Marktpluralität gibt, 10 EU-Mitgliedstaaten mit mittlerem Risiko (unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande) und alle anderen Mitgliedstaaten ein hohes Risiko besitzen. Bei der politischen Unabhängigkeit der Medien besitzen Ungarn, Malta, Polen und Rumänien ein hohes Risiko.
Frage: Ist die Medienfreiheit auch bei uns in Deutschland gefährdet?
Antwort: Ja und Nein. Deutschland verfügt über einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und über eine Vielfalt privater Medien und Presse. Das sollte jedoch nicht über bestehende Probleme hinwegtäuschen. Beispielsweise ist die Vielfalt bei Lokal- und Regionalzeitungen begrenzt, da sich viele von ihnen in den Händen weniger Verlage befinden. Und auch beim Index über die Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Deutschland gut da mit 81,9 Prozent im letzten Jahr, aber doch „nur“ auf Platz 13 der EU-Mitgliedstaaten. Die Einschätzung von Reporter ohne Grenzen zitiere ich mal: „The overall environment is favorable to journalism, but violence and verbal attacks are on the rise. Draft bills threaten the protection of journalistic sources, access to information is fragmented and media pluralism has been decreasing.“ (Anmerkung der Redaktion – zu deutsch: „Das allgemeine Umfeld ist für den Journalismus günstig, aber Gewalt und verbale Angriffe nehmen zu. Gesetzentwürfe gefährden den Schutz journalistischer Quellen, der Zugang zu Informationen ist fragmentiert und der Medienpluralismus hat abgenommen.“
Frage: Bei Ihrer Info zur Sitzung an uns hieß es zu dem betreffenden Punkt „Lange überfällig und am Ende doch zu wenig“. Was ist denn nun zu wenig?
Antwort: Es gibt eine Vielzahl von problematischen Punkten im finalen Text des EMFA. Ein wirksames Instrument gegen Medienmarktkonzentration aufgrund des Widerstands der rechts-konservativ-liberalen Mehrheit war schon gar nicht in der Position des Parlaments (Artikel 22 und 23).
Der Schutz von Journalistinnen und Journalisten, ihrer Quellen und ihrer journalistischen Arbeit vor staatlichen Maßnahmen wie Überwachung, Ausspähung und Inhaftierung ist ungenügend und bietet eine Menge von Schlupflöchern für Regierungen, diesen Schutz zu umgehen (Artikel 4).
Die Regelungen für den Schutz der Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien (Artikel 5) vor staatlicher Einflussnahme gehen nicht so weit, wie wir als Sozialdemokrat:innen das gerne gehabt hätten. Auch die Finanzierung wird nicht in einer solchen Form sichergestellt, die politische Unabhängigkeit garantieren würde.
Das neu geschaffene Europäische Gremium für Mediendienste (Artikel 8-12), das die nationalen Medienaufsichtsstellen umfasst, ist alles andere als staatsfern und politisch unabhängig organisiert, denn sein Sekretariat wird in der EU-Kommission angesiedelt und mit Kommissionsbeamten besetzt sein. Hier haben wir uns für eine Struktur eingesetzt, die Staatsferne sicherstellen würde.
Und letztlich hatten wir als sozialdemokratische Fraktion den Anspruch, der gegenwärtigen Praxis von sehr großen Online-Plattformen wie Facebook, Youtube und X/Twitter einen Riegel vorzuschieben (Artikel 18). Regelmäßig werden professionell erstellte Medieninhalte gelöscht, weil sie diesen Plattformen schlicht nicht passen. Unserer Meinung nach darf es kein privates Unternehmen sein, das noch dazu in den USA oder gar China sitzt, das die Letztentscheidung darüber trifft, welche journalistischen Inhalte europäische Bürger sehen können oder nicht. Dies bleibt mit dem finalen Text der Verordnung jedoch weiterhin der Fall. Ein Medienfreiheitsgesetz müsste die Medienfreiheit sowohl offline als auch online schützen.
(Quelle: Interview Karin Wunsam / Beitragsbild: Symbolfoto / Foto: Copyright SPDSK)
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