Bruckmühl / Landkreis Rosenheim – Die italienische Wahl-Berlinerin und Musik-Künstlerin Etta Scollo gastiert am Samstag, 21. Oktober, in der „Kulturmühle“ Bruckmühl (Landkreis Rosenheim) mit ihrem neuen Programm „Ora“. Was sie unter dem „Ora“, dem „Jetzt“ versteht, erzählt sie im Interview mit Innpuls.me.
Frage: Mit ihrem neuen Opus „Ora“ geben Sie eine musikalisch vielschichtige Antwort auf das „Im Hier und Jetzt sein“. Was steckt hinter dem Jetzt-Gedanken?
Antwort: Es ist Zeit zu sein –jetzt, jetzt, jetzt…“ singe ich im abschließenden Titelstück von „Ora“. Die Pandemie hat uns in eine musikalische Lethargie versetzt. Plötzlich war alles weg, ich hatte keine Perspektive, habe keinen einzigen Ton gesungen. Doch dann fing ich an, körperlich zu arbeiten: Ich habe in meiner neuen Wohnung Nägel in die Wand geschlagen, Lampen montiert, Regale gebaut. Ich habe gemerkt: Ich muss meinen Körper spüren, muss spüren, dass ich ein Mensch bin in dieser schlimmen Zeit der Isolation. Aus diesem Tasten und Tun erwächst ein Album. Jedes Setting steht für einen Moment, der in meinem Leben einmal wichtig war. Das Werk stellt sich den Herausforderungen der Gegenwart. „Ora“ ein Bekenntnis zum Leben. Zum Mut, ohne Zögern zu lieben.
Frage: Die Tradition der Klagelieder ist in vielen südlichen Ländern weit verbreitet. Wie erklären Sie einem Laien deren Existenz?
Antwort: Sizilien hat eine sehr starke Tradition der Klagelieder. Die unterschiedlichen Themen wurden dazu genutzt, um Geschichten zu erzählen, als Zeitungen noch nicht so weit verbreitet waren. Es gab auch Männer, die mit einem Caretto, einer kleinen Karre, durch das Land zogen. Sie waren vorrangig Warenhändler, haben aber auch Nachrichten verbreitet, indem sie mit einer Gitarre Lieder über die aktuellen Ereignisse vortrugen. Oft haben sie dazu auch gemalte Tafeln verwendet, auf denen die Handlung illustriert war. Das sind jedoch nicht die typischen Klagelieder, sondern Cantohistorien. Richtige Klagelieder sind für spezielle Situationen geschrieben worden. Wenn jemand verstorben war, holten die Angehörigen Frauen, die den Verlust beklagten. Diese Klageweiber entwickeln spezielle Gesänge nach einer vorgegebenen, überlieferten Art und Weise.
Frage: Was macht sizilianische Musik für Sie aus?
Antwort: Die Musik von Sizilien wurde im Laufe der Zeit von mehreren Kulturen beeinflusst – zum Beispiel vom griechischen und arabischen Raum. Im Mittelalter war Palermo eine Stadt mit 300 Moscheen. Als Friedrich der II, der deutsche König, sie eroberte, veränderte sich das wieder. Alle Kulturen haben stark miteinander interagiert. Es gab auch französische und spanische Einflüsse. Auf Sizilien gibt es Orte, wo ein französischer Dialekt gesprochen wird. Und so ist auch die Musik: Alle diese Elemente sind erkennbar in der Art, wie sich die Melodien strukturieren. Das Material, das überliefert wurde, besteht meistens aus einer Gitarre und einer Stimme, oft auch nur aus einer Stimme, oder aus einer Maultrommel und einer Stimme. Manchmal finden sich Besetzungen aus Geige, Cello, Mandoline. Das war ca. Anfang des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit bestanden viele Berührungspunkte zwischen der romantisch-klassischen Musik und der Folkmusik. Das Alles macht einen besonderen Klang aus.
Frage: Bei all der Vielfalt, hat ein Instrument besonders ihr Herz erobert?
Antwort: Ja, die Harfe. In zwei Liedern setzen wir sie ein. Ich hätte zuvor nie gedacht, dass ich eine Harfe lieben würde, denn ich habe sie immer mit etwas engelhaft-süßem, sehr kitschigem verbunden. Björk ist einige der wenigen Musikerinnen, die sie zum Beispiel im Popbereich genutzt hat. Es kommt immer darauf an, wie ein Instrument verwendet wird. Ich war selber überrascht, dass ich ein Gefängnislied mit einer Harfe singe.
Frage: Natürlich haben Sie in Bruckmühl auch ihr beliebtes „Canta Ro` im Gepäck. Was hat es damit auf sich Frau Scollo?
Antwort: Darin lasse ich die vergessenen Volkslieder der Rosa Balistreri wieder aufleben – im Trio in reduzierter Form und dadurch noch purer und unter die Haut gehender. Durch den Einsatz von Gitarre, Akkordeon, Mandoline, Flöte, Klarinette, Trompete, Posaune, Tuba, Percussioninstrumenten, Harfe, Laute, Fiedel, Harmonikum und Maultrommeln entsteht ein besonderer Klangkörper. Sehnsuchtsvolle, ausdrucksstarke und temperamentvolle Lieder werde ich in Bruckmühl darbieten und zugleich einen Einblick in die sizilianische Kultur und Geschichte geben.
Karten für das Konzert am 21. Oktober in der Bruckmühler Kulturmühle, Bahnhofstraße 10, gibt es in der Bücherei Bruckmühl oder online bei München Ticket sowie an allen amtlichen Vorverkaufsstellen.
(Quelle: Interview: Johann Baumann / Beitragsbild: Copyright Giulia Bersani)
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