Nachrichten, Informationen und Geschichten aus Rosenheim

Gastbeitrag zum Thema „Handicap“

Mann sitzt und schaut nach oben in die Kamera, lächelt. Bekleidet mit schwarzem T-Shirt.

Karin Wunsam

Schreibt immer schon leidenschaftlich gern. Ihre journalistischen Wurzeln liegen beim OVB-Medienhaus. Mit der Geburt ihrer drei Kinder verabschiedete sie sich nach gut 10 Jahren von ihrer Festanstellung als Redakteurin und arbeitet seitdem freiberuflich für die verschiedensten Medien-Unternehmen in der Region Rosenheim.

5. Mai 2022

Lesezeit: 3 Minute(n)

Rosenheim / Bayern / Deutschland Europa – Am heutigen 5. Mai ist Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Bis zum 31. Mai finden dazu bundesweit Aktionen statt. Anlässlich dieses Tages hier nun ein Gastbeitrag von Tom aus Mecklenburg-Vorpommern. Tom ist mit Mitte 30 an Retinitis Pigmentosa erblindet. Außerdem zählt er zu den 15 bis 20 Prozent der Menschen, die als hochsensibel gelten. Dazu hat er uns vor einiger Zeit auch schon ein Interview gegeben. 

Gibt es Unterschiede zwischen Sehenden und Blinden Hochsensiblen?

In welchen Bereichen gibt es denn Unterschiede?
Nun gibt es aktuell leider noch keine wissenschaftlichen Studien zum Thema Blind und Hochsensibel.  Trotz alledem gibt es meiner Meinung nach eine Vielzahl an Unterschieden zwischen Sehenden und Blinden Hochsensiblen. Die Unterschiede finden sich im sensorischen, emotionalen wie auch im kognitiven Bereich.
Da dieses Thema sehr umfangreich ist, werde ich einen wesentlichen Unterschied aus den sensorischen Bereich beschreiben der wohl jedem zuerst einfällt wenn er das Wort „Blind“ liest oder hört. Es geht um das „Sehen“ –  also um das Visuelle und dessen Einfluss auf den Menschen.
Bevor ich auf den Unterschied im Bereich der Hochsensiblität eingehe, wollte ich noch einen Unterschied ansprechen den generell alle „Sehenden“ und „Blinden“ Menschen betrifft und der auf wissenschaflliche Studien beruht und dadurch auch belegt ist. Es ist wohl den wenigsten Menschen bekannt, dass das Sehzentrum (Sehrinde) im Gehirn das normalerweise für das „Sehen“ zuständig ist, bei einem blinden Menschen nicht nutzlos ist, sondern anders genutzt wird. Es wird bei anderen sensorischen Wahrnehmungen wie dem Hören oder Tasten aktiviert.
Nun bestätigt sogar eine Studie, dass es auch bei höheren kognitiven Leistungen wie zum Beispiel der Sprachverarbeitung genutzt wird. Während etwa die normale Sprechgeschwindigkeit bei ca. 5 Silben/Sekunde liegt, können Blinde lernen, beschleunigte synthetische Sprachäußerungen bis zu einer Rate von über 20 Silben/Sekunde zu verstehen. So viel zum generellen Unterschied zwischen allen Sehenden und blinden Menschen.
Nun werde ich versuchen, den Unterschied zwischen „Sehenden“ und „Blinden“ hochsensiblen Menschen aus meiner Sicht zu erläutern. Da der Sinn „Sehen“ ca. 70 Prozent aller Sinneswahrnehmungen einnimmt, ist es daher auch nicht verwunderlich dass dass Sehen auch einen sehr großen Einfluss auf hochsensible Menschen hat. Größtenteils im emotionalen und kognitiven Bereich, aber auch einen kleineren Teil im sensorischen Bereich.
Was ist bei blinden Hochsensiblen nun anders? Davon mal ab gesehen, dass ein blinder Hochsensibler nicht unter einer visuellen Reizüberflutung leiden kann, so unterliegt er auch nicht dem Einfluss des Visuellen, was Geschmack, Geruch, Ertasten, (Berührung),Gedanken und Gefühle an geht. Auch Meinungen, Ansichten und die dadurch getroffenen Entscheidungen, Handlungen beruhen oft auf dem, was man sieht oder gesehen hat. Von all dem bleiben Blinde unberührt. Blinde nehmen daher ihre Umwelt und Menschen realer, bewusster und intensiver wahr. Sie nehmen mehr wahr auf der emotionalen Ebene.
Fakt ist auch, dass Menschen niemals ganz unbeeinflussbar sind und dass jeder Mensch anders ist in seiner Beeinflussbarkeit. Trotz alledem werden viele dieser Beeinflussungen über das Sehen angestoßen oder ausgelöst. Das Sehen stößt Gedanken an, die wiederum Gefühl auslösen können und daraus können Entscheidungen und Handlungen entspringen. Es ist ein Zusammenspiel der sensorischen, emotionalen und kognitiven Bereiche, die ein einem Ablauf stehen, deren Ursprung das Sehen ist.
Dessen ist der blinde Hochsensible nicht ausgesetzt. Daher ist er vorurteilsfreier und weniger beeinflussbar in seinen Gedanken, Gefühlen und Emotionen.
Woher ich das alles weiß ? Weil ich nicht immer blind war, sondern erblindet bin und ich daher auch einige Jahre mit der *Beeinflussung des Visuellen* gelebt habe und daher auch weiß, wie es beeinflussen kann.
Nun hab ich einen klareren und unverfälschteren Blick auf das Leben und ihre Menschen denn ich sehe was IST und nicht was zu SEIN scheint.
Blind zu sein ist keine Last sondern es zeigt dir die Welt aus einer ganz anderen Perspektive und es zeigt dir so manches das du *Sehend* niemals gesehen hättest.
(Quelle: Text: Tom / Beitragsbild: Tom)

0 Kommentare