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Kommentar: Was ist wahr?

Karin Wunsam

Schreibt immer schon leidenschaftlich gern. Ihre journalistischen Wurzeln liegen beim OVB-Medienhaus. Mit der Geburt ihrer drei Kinder verabschiedete sie sich nach gut 10 Jahren von ihrer Festanstellung als Redakteurin und arbeitet seitdem freiberuflich für die verschiedensten Medien-Unternehmen in der Region Rosenheim.

8. Januar 2022

Lesezeit: 3 Minute(n)

Rosenheim – Ich werde aktuell sehr oft gefragt: „Was ist wahr?“ Und noch öfter höre und lese ich: „Schreib doch die Wahrheit“ Aber was ist nun die Wahrheit und wo finde ich sie?

„Die Wahrheit über Corona, Klimawandel, Geld, Altwerden, Arthrose, Britney Spears oder Angela Merkel…“ Schlagzeilen wie diese gibt es viele und sie ziehen unwahrscheinlich gut, wenn man beispielswiese auf die Klickzahlen im Internet schaut. Aber ist das, was man zu lesen bekommt, dann auch tatsächlich „die“ Wahrheit?

Meiner Meinung nach: Nein. Die absolute Wahrheit gibt es nicht. Nehmen wir die Erkenntnis „Die Erde ist eine Kugel“. Nun ja! Prinzipiell stimmt das natürlich, aber streng genommen handelt es sich bei unserem Planeten um eine sogenannte „Rotationsellipsoiden“. Das bedeutet, er ist keine perfekte Kugel, sondern an den Polen etwas abgeflacht und an einigen Stellen eingebeult. Und so ist es mit allen anderen großen und kleinen Themen auch.

Nur berichten, was dem
Mainstream entspricht?

Kürzlich hat einer Dame das Thema missfallen, über das ich berichtet habe. Das dürfe ich nicht machen, denn es entspreche nicht der Wahrheit. Auf die Frage, was für sie Wahrheit ist, antwortete sie mir: „Wenn 80 Prozent der Menschen sagen, dass die Sonne scheint, und 20 Prozent sagen, es regnet, stimmt natürlich das, was die 80 Prozent sagen und dann darf nur geschrieben werden, dass die Sonne scheint.“  Diese These vertrat übrigens übrigens schon Aristoteles: die Wahrheit ergibt sich daraus, dass möglichst viele Menschen mit einer Meinung übereinstimmen.
Doch so einfach ist es leider auch nicht. Zurück zum Beispiel mit dem Sonnenschein. Bezogen auf eine Ortschaft trifft das sicher zu, aber wie schaut es in anderen Teilen Deutschlands oder der Welt aus?
Außerdem kann sich die Wahrheit von heute bereits morgen als großer Irrtum herausstellen.
Die Wahrheit über die Wahrheit ist: jeder muss sie für sich selbst finden und auch immer wieder hinterfragen. Es gibt einen Unterschied zwischen „Für-Wahr-Halten“ und „Wahr-Sein“. Wahrheit ist auch keine Bestätigung der eigenen Meinung. Und nicht jeder, der anderer Meinung ist, liegt automatisch falsch und muss sich als „Leugner“ oder „Spinner“ beschimpfen lassen.
Hört man sich zu einem bestimmten Thema verschiedene Experten an, erhält man in der Regel verschiedene Meinungen und Standpunkte – und in vielen Fällen hören sich alle irgendwie schlüssig an. Auch mit Umfragen und Statistiken ist es so eine Sache. Meistens entsprechen sie der Wahrheit derjenigen, die sie in Auftrag gegeben haben.
Also, was tun?  Einfach aufhören, nach „der“ Wahrheit zu suchen? Nein! Diese Suche darf niemals enden. Gerade in schwierigen Zeiten. Aber es ist wichtig, dabei auch auf andere Meinungen zu hören, sie zuzulassen und darüber zu diskutieren.
Da muss ich mich am eigenen Schopf packen. Auch ich erwische mich immer wieder einmal dabei, dass ich mich bei der Berichterstattung von meiner eigenen Meinung und meinen eigenen Gefühlen beeinflussen lasse. Erst wieder passiert vor einigen Tagen bei einem Thema, bei dem es um Tierschutz ging. Ich als großer Tierliebhaber war sofort auf Seiten der Tiere. Rückblickend habe ich es mir da zu einfach gemacht. Ein Verbot von etwas führt nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Situation. Statt nur auf die Tierschützer zu hören, wäre es also der richtige Weg gewesen, auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen und daraus resultierend meine eigene Meinung zu hinterfragen.

Auch ein Journalist hat die
Wahrheit nicht für sich gepachtet

Zu einem ehrlichen Journalismus gehört es meiner Meinung nach, zuzugeben, dass man die Wahrheit ebenso wenig für sich gepachtet hat wie Politiker, Forscher, Experten und alle anderen Menschen.
Was man als Journalist tun kann, ist, ein möglichst breites Meinungsspektrum zu bieten, um auf diese Weise dazu beizutragen, dass sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. Dazu gehört, alle Seiten anzuhören und sie unvoreingenommen zu Wort kommen zu lassen, auch diejenigen, die nicht zum „Mainstream“ passen. Jedes noch so kleine Mosaiksteinchen kann dazu beitragen, „der“ Wahrheit nahe zu kommen, Stück für Stück.

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