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„Stimmt doch alles nicht“

Erde in Scheiben

Karin Wunsam

Schreibt immer schon leidenschaftlich gern. Ihre journalistischen Wurzeln liegen beim OVB-Medienhaus. Mit der Geburt ihrer drei Kinder verabschiedete sie sich nach gut 10 Jahren von ihrer Festanstellung als Redakteurin und arbeitet seitdem freiberuflich für die verschiedensten Medien-Unternehmen in der Region Rosenheim.

4. September 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Rosenheim – Regelmäßig schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal geht es Menschen, die ständig sagen: „Das stimmt doch alles nicht“.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos: 

Schwarze Spielfigur unter lauter weißen Spielfiguren

Stimmt doch alles nicht

„Das stimmt doch alles nicht“, hat dein Nachbar gesagt. Das sagt er öfters. Ziemlich oft sogar. Wenn irgendjemand sagt „Das stimmt doch alles nicht“, dann rufen manche „Johannes!!!“. So heißt dein Nachbar. Das wird auch gerufen, wenn er nicht dabei ist.
Oft geht er den Leuten auf den Geist. Manchmal verdreht er auch Gehörtes und beklagt sich über das, was er gemeint hat zu hören. Er beharrt darauf und ist nicht bereit, seine Aussagen zu korrigieren. Er selbst ist aber ziemlich empfindlich, wenn ihn dann jemand wegen der Verdrehungen zurechtweist. Das nimmt er dann ziemlich übel.

Grimmige Grundstimmung

So ist er überwiegend in einer grimmigen Grundstimmung, weil er immer damit rechnet, dass sogar etwas nett gemeintes eigentlich als Beleidigung beabsichtigt ist. Da kann man machen, was man will, er neigt einfach zu ständigem Groll und ist auch kaum bereit, anderen etwas zu verzeihen, wenn diese einmal wirklich etwas beleidigendes gesagt haben.
Hinter allem vermutet er einen potentiellen Angriff. In seinem ständigen Misstrauen zweifelt er alles an: „Das stimmt doch alles nicht!!!“ Mit seiner Freundin hat er das auch gemacht. Vor lauter Misstrauen wurde er sogar eifersüchtig. Dass der andere Mann, mit dem sie einen Kaffee getrunken hat und den sie zum Abschied herzlich umarmt hat (samt Bussi) ein alter Schulfreund war, hat er ihr einfach nicht abgenommen. Richtig in Rage hat er sich geredet. Immer mehr Vorwürfe hat er erhoben.

Die Freundin wurde immer verzweifelter. „Das stimmt doch alles nicht“, hat dann auch sie angesichts der vielen unbegründeten Vorwürfe gesagt. „Sag ich doch“ war seine Antwort und hat noch nicht einmal das Groteske in seiner Äußerung bemerkt. Ihre Verzweiflung auch nicht und auch nicht, dass er sie mehr und mehr verlor. Das war ja nicht das erste Gespräch mit Vorwürfen, Misstrauen und Verdrehung der Tatsachen. Erst als sie weg war, hat er gemerkt, dass sich etwas verändert hatte. Aber das war ja nur gut. Endlich war sie weg. Hatte ihn „immer nur betrogen und beleidigt“.
Das ständige Misstrauen hatte ihn schon eine Beförderung in der Arbeit gekostet. Und beim Fußball war er inzwischen auch nur noch auf der Ersatzbank. Mal schauen, wie lange er da noch bleibt. Eigentlich ist er angeblich der beste von allen, aber der „Trainer mag ihn wohl nicht“ und lässt ihn daher nicht spielen.

Was soll man mit so einem nur machen, fragst du mich. Nun ja, grundsätzlich ist es sicherlich sinnvoll, bei allem neuen erst mal vorsichtig bis misstrauisch zu sein. Entscheidend ist die Frage, wo das beginnt, wie verbohrt das Misstrauen ist und ob dabei auch Tatsachen verdreht werden.
Bei der Behauptung, dass die Erde eine Scheibe ist, ist Misstrauen sicherlich angebracht. In der jüngeren und älteren Vergangenheit gibt es so etliches, was man nicht so einfach übernehmen kann. Bitte frag mich jetzt nicht nach Beispielen.

Manchmal ist Misstrauen Anfang von Fortschritt

Misstrauen ist im Gegenteil manchmal sogar der Anfang von Fortschritt. So hat sich auch Kopernikus zurecht gefragt, ob das bis dahin gültige Weltbild von der Erde, um die sich alle anderen Planeten, Sterne und sogar die Sonne drehen, stimmt. Er hat es astronomisch überprüft und wissenschaftlich bewiesen, dass es genau andersherum ist. in unserem Sonnensystem dreht sich alles um die Sonne.
Misstrauen ohne Überprüfung, ob es berechtigt ist, ist sinnlos und verpufft. Wird zur hohlen Pose, wird dummes Zeug. Und genau daran hapert es wohl bei Johannes. Er ist nur immerzu misstrauisch und lässt sich auf keine Überprüfung ein. Misstrauen muss auch mal entkräftet werden können.
Grundsätzlich jedoch ist Misstrauen der Beginn eines jeden Fortschritts. Immanuel Kant hat Aufklärung definiert als „Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Aufklärung meint nichts anderes als Erforschung. Und die beginnt nicht mit der Behauptung „Das stimmt doch alles nicht“, sondern mit der Frage „Stimmt das eigentlich?“ Unmündig ist, wenn man die Frage nicht stellt. Denn dann bleibt man dumm. Unmündig ist aber auch, wenn man reflexartig behauptet, dass „das alles doch nicht stimmt“ und keine Antwort auf die Frage sucht.

Schwierig wird es, wenn die Grundlage der Behauptung „Das stimmt doch alles nicht“ in einer Verdrehung der Tatsachen besteht. Natürlich ist alle Wahrheit ungewiss und nur für den Augenblick gültig. Aber die Erde wollen wir vorerst mal kugelförmig lassen. Es sei denn, jemand trägt wirklich begründete Zweifel vor, dass es doch anders ist.
Bei Johannes scheint die offensichtlich andauernde Verdrehung von Tatsachen und vor allem das damit fast regelmäßig einhergehende Misstrauen Züge einer Störung zu haben. Es kommt fast zwanghaft und eigentlich fast immer. Es ist fast immer grundlos. Er leidet zwar nicht übermäßig darunter, da er sich ja im Recht glaubt. Aber er hat schon Rückschläge in seinem persönlichen Leben hinnehmen müssen: die ausgefallene Beförderung, die gegangene Freundin und die Verbannung auf die Ersatzbank.

Man muss bei dem von dir Erzählten ein wenig an paranoide Eigenschaften denken. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Hier könnte eine regelrechte paranoide Schizophrenie vorliegen. Die ihrerseits Bestandteil anderer Erkrankungen sein kann.
Es könnte aber auch eine paranoide Persönlichkeitsstörung vorliegen. Letztere beginnt meist im Kindes- und Jugendalter und hat keine ausgesprochen psychotischen Elemente. Also keine Halluzinationen. Keine Geheimdienste, die Kameras und Mikrofone in der Wohnung verteilt haben, um ihn zu manipulieren und schlimmeres.

Das zu unterscheiden, braucht genauso eine fachgerechte Beratung wie die anschließende therapeutische Hilfe. Du selbst kannst hier also wenig tun. Sollte er sich aber wieder mal beklagen, dass „das alles nicht stimmt“, könntest du ihm vorschlagen, doch mal fachkundige Hilfe hinzuzuziehen, um ihm dabei zu helfen, dass ihn das nicht mehr so beeinträchtigt.
Und bitte merke dir den Spruch von Kant „Aufklärung ist der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit“.

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche kommt einer von seiner Sucht nicht los
Alexander Wurthmann M. A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M.A. / Beitragsbild, Fotos; re)

 

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