Rosenheim – Schwere Stürme, Hochwasser, ansteigender Meeresspiegel,
höhere Temperaturen – ist der Klimawandel noch aufzuhalten? Und was
bewegt einen Meeresforscher, mit stets nassen Füssen durchs Berufsleben
zu gehen? Die letzte und erneut gut besuchte Ringvorlesung zur Ausstellung
Vulkane im Lokschuppen hatte es in sich. Wissenschaftskurator Holger von
Neuhoff und Deutschlands bekanntester Meeresforscher Professor Ulrich
Bathmann bewiesen, dass Wissenschaft spannend und unterhaltsam sein
kann.
Es war quasi ein emotionaler Wellenritt zum Klimawandel, über die
Ozeane und übers ewige Eis, mit einem Eintauchen in die Gefühlswelt der
beiden Koryphäen. Halten wir fest: Seit 1950 zeigt sich der Temperaturanstieg
weltweit. Der Klimawandel schreitet voran. „Das Ziel von 1,5 Grad Erwärmung
ist nicht mehr zu erreichen“, konstatierte Ulrich Bathmann. Was also tun? Da
gibt es zwei Strategien: Anpassen und Vermeiden. Anpassen könnten sich die
Menschen, indem sie höhere Deiche bauen, den Hochwasserschutz und den
Katastrophenschutz verstärken. Einen hohen Co2-Ausstoss könnten sie
vermeiden, indem sie etwa Energie sparen, alternative Energiequellen
erschließen, Infrastruktur ausbauen, Öko-Strom speichern und die Forschung
intensivieren. Doch reicht das alles?
„Wir müssen uns erst Zeit kaufen“
Darum geht es dem Meeresforscher Bathmann nicht. „Wir müssen uns erst
Zeit kaufen“, argumentiert er. Das heißt: alles unternehmen, um den
Klimawandel zu verlangsamen, bis die besten Lösungen gefunden sind.
Bathmann ist aus Überzeugung und Leidenschaft Forscher. Als Biologe hielt
er früh seine Nase in die Meeresforschung, war weltweit mit der „Polarstern“
auf Expeditionen auf den Weltmeeren unterwegs – immer mit nassen Füßen
bei schäumenden Wellen auf hoher See. „Wahrheit ist kostbar. Kostbarer ist
aber die Fertigkeit, sie zu finden.“ Dieser Spruch von Alexander von Humboldt
ist seine Lebensdevise. Er will das Meer verstehen, die Ursachen des
Klimawandels näher kennen und die geeigneten Schritte dagegen erforschen.
Bei ihren Experimenten stoßen Wissenschaftler aber auch an Grenzen. So im
Jahr 2009, als in einem internationalen Projekt ein Teil des Südatlantik mit
Eisen gedüngt wurde. Das Ziel: eine Algenblüte zu erreichen, weil Algen CO2-
speichern. „Das haben wir wissenschaftlich geschafft, innerhalb von drei
Wochen“, so Bathmann. Doch das Experiment löste heftige Diskussionen
weltweit und in Deutschland aus – heutzutage würde man das wohl als
Shitstorm bezeichnen. Drei Anhörungen im Bundestag, Politik und
Öffentlichkeit befürchteten, mit diesem Projekt würde man ein Ökosystem
beschädigen. Seit diesem Hickhack gibt es keine Düngung von Meeren mehr.
Schade, meint Bathmann, aber: „Man kann das nicht überall machen, und
nicht ewig. Es wäre nur ein örtlich begrenzter Zeitgewinn.“
Bei den Gästen der Veranstaltung löste der spannende Dialog der
Wissenschaftler unterschiedliche Reaktionen aus. Manche freuten sich über
die Möglichkeit zur Klima-Diskussion, weil es dafür zu wenig Plattformen gibt.
Andere reagierten mit Kopfschütteln. „Ich bin fassungslos“, meinte ein
Besucher. „Die Wissenschaft muss nicht mehr forschen, wie man CO2 in
irgendein Loch stopft. Die Prozesse sind nicht mehr aufzuhalten.“ Das ruft
beim Meeresforscher Kopfschütteln hervor. „Nichtstun ist keine Option“, so
Bathmann. „Und den Kopf in den Sand zu stecken, und ganz Hamburg wegen
der steigenden Meeresspiegel irgendwann zu evakuieren und 50 Kilometer
landeinwärts zu verlegen, ist auch keine Option.“ Auch für
Wissenschaftskurator Holger von Neuhoff nicht. „Man kann natürlich jeden
Hype mitmachen, sich große Autos kaufen und damit fahren wie bisher. Es
gibt auch Menschen, die verzweifeln, wir haben eine Gesellschaft, die sich
entzweit. Das alles will ich nicht. Ich will in die Schulen gehen, jungen
Menschen zeigen, was Wissenschaft ist. Sie müssen Wissenschaft verstehen.
Und wir müssen den Mut haben zu sagen: Wir können die Zukunft meistern.“
Ein anderer Besucher bekam für den letzten Diskussionsbeitrag viel Beifall:
„Ich frage mich immer: Wer ist zuständig für die Rettung der Welt? Meine
Antwort: Ich bin es. Und wenn das alle sagen, können wir viel gemeinsam
erreichen.“
(Quelle: Pressemitteilung vkr / Foto: vkr: Foto von links: Die stellvertretende Leiterin der VHS Rosenheim Sylvia Seiler, Wissenschaftskurator Holger von Neuhoff, die Leiterin des
Ausstellungszentrums Lokschuppen Dr. Jennifer Morscheiser und Meeresforscher Professor Ulrich Bathman)
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