Rosenheim – Wirtschaftliche Unsicherheit, steigende Preise, Wohnungsnot, politische Krisen und Fragen zur Zukunft prägen bei vielen Menschen den Blick auf das kommende Jahr. Studien zeigen: Die Sorgen ziehen sich durch alle Altersgruppen. Gerade in solchen Zeiten fällt oft ein Satz, der vertraut klingt: „Früher war alles besser.“ Doch hält diese Wahrnehmung einem Blick in die Geschichte stand? Eine Zeitreise durch Rosenheim zeigt: Jede Epoche hatte ihre Herausforderungen – und ihre Hoffnungsmomente.
Die Rosenheimer Bahnhofstraße im Jahr 1925. Fotos: Archiv Herbert Borrmann
1925: Aufbruchsstimmung und politische Spannungen
1925 lebten die Menschen in der Weimarer Republik in einer Phase des Umbruchs. Die wirtschaftliche Lage hatte sich nach den Krisenjahren etwas stabilisiert, die sogenannten „Goldenen Zwanziger“ brachten kulturelle Blüte, neue Lebensentwürfe und technische Neuerungen. Kino, Jazz und moderne Ideen prägten das Stadtleben – zumindest für einen Teil der Bevölkerung.
Doch der Fortschritt war ungleich verteilt. Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und große soziale Gegensätze bestimmten den Alltag vieler Menschen. Waschmaschinen, Fernreisen oder umfassende medizinische Versorgung waren Luxus, Strom und fließendes Wasser längst nicht überall selbstverständlich. Während Rosenheim wuchs und sich langsam modernisierte, blieben vor allem Landbevölkerung und Kleinbauern wirtschaftlich zurück.
Gleichzeitig erstarkten politische Extreme. Nur wenige Tage nach der Wiedergründung der NSDAP in München wurde auch in Rosenheim eine Ortsgruppe neu aufgebaut. Der Zulauf war zunächst gering, doch die politischen Spannungen jener Zeit waren spürbar.
Erschüttert wurde die Stadt 1925 zudem durch eine aufsehenerregende Gewalttat, die als „Bluttat am Küpferling“ in die Geschichte einging. In der Nacht kam es im Gasthaus „Beflügeltes Rad“ zu einer Schlägerei, bei der ein Mann durch einen Messerstich tödlich verletzt wurde. Was als private Auseinandersetzung begann, wurde später politisch instrumentalisiert und trug zur weiteren Verhärtung der gesellschaftlichen Fronten bei. Auch das gehörte zu Rosenheim im Jahr 1925: Aufbruch, aber auch Unsicherheit und Radikalisierung.
1950: Neubeginn nach Krieg und Zerstörung
Fünfundzwanzig Jahre später stand Rosenheim erneut an einem Wendepunkt. Der Zweite Weltkrieg war vorbei, Deutschland geteilt, der Kalte Krieg hatte begonnen. Der Alltag war geprägt vom Wiederaufbau, von Mangel und dem Wunsch nach Normalität.
Luxus spielte kaum eine Rolle. Fernseher waren selten, Waschmaschinen die Ausnahme, Urlaubsreisen für die meisten unerreichbar. Doch die Versorgungslage hatte sich verbessert, Arbeit wurde gefunden, und viele Menschen blickten vorsichtig optimistisch nach vorne. Gemeinschaft und Zusammenhalt prägten das Leben.
Ein sichtbares Zeichen dieses Neuanfangs war das erste Herbstfest nach dem Krieg, das am 16. August 1950 eröffnet wurde. Mit landwirtschaftlicher Ausstellung, Kinderfest und geselligem Beisammensein wurde gefeiert, was nach Jahren der Entbehrung wieder möglich war. Das Herbstfest wurde zum Symbol für Zuversicht und den Willen, das Leben neu zu gestalten.
Da war schon viel los in der Münchener Straße in Rosenheim: 1975
1975: Wohlstand mit Rissen
1975 lebte Rosenheim in einer Zeit, die viele rückblickend als vergleichsweise sorglos empfinden. Fernseher, Waschmaschinen und Autos gehörten inzwischen zur Normalität, Urlaubsreisen nahmen zu, der Wohlstand war sichtbar. Doch der Optimismus bekam Risse.
Die Ölkrise von 1973/74 hatte das Wirtschaftswunder beendet. Rezession, steigende Arbeitslosigkeit und Inflation sorgten für Zukunftsängste. Energiesparmaßnahmen, autofreie Sonntage und Tempolimits prägten den Alltag. Gleichzeitig bestimmten Terrorismus, politische Debatten und gesellschaftliche Reformen das Lebensgefühl.
Auch das Stadtbild Rosenheims veränderte sich. Der Neubau des Karstadt-Hauses an der Münchener Straße wurde von manchen als modernes Aushängeschild gefeiert, von anderen als Fremdkörper kritisiert. Abrisse historischer Gebäude, Diskussionen um Denkmalschutz und Bürgerproteste begleiteten die Entwicklung der Innenstadt.
Gleichzeitig entstanden neue Ideen im Umgang mit Umwelt und Natur. 1975 startete im Landkreis Rosenheim ein Modellversuch zur Hagelflugabwehr – ausgelöst durch verheerende Unwetter im Jahr zuvor. Fortschritt, Technikgläubigkeit und erste ökologische Bedenken gingen Hand in Hand.
Eröffnung von K & L Ruppert in der Münchener Straße in Rosenheim im Jahr 2000.
2000: Zwischen Aufbruch und Verunsicherung
Um die Jahrtausendwende blickten viele Menschen mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Die BSE-Krise verunsicherte Verbraucher, zugleich sorgte der sogenannte Y2K-Fehler, auch als Millennium-Bug bekannt, für Nervosität. Hintergrund war, dass viele ältere Computersysteme Jahreszahlen nur zweistellig speicherten. Beim Übergang von „99“ auf „00“ befürchtete man, die Technik könnte das Jahr fälschlich als 1900 interpretieren – mit möglichen Folgen von Systemausfällen bis hin zu Störungen in Energieversorgung, Verkehr oder Verwaltung. Letztlich blieben größere Katastrophen dank massiver Vorbereitungen aus, auch wenn es vereinzelt zu kleineren Problemen kam.
Gleichzeitig kündigten sich wirtschaftliche Umbrüche an, die mit dem Platzen der New-Economy-Blase in den folgenden Jahren spürbar wurden. Rosenheim stand vor tiefgreifenden Veränderungen: Große Investitionen in Infrastruktur, Klinikum, Kinderbetreuung und Stadtentwicklung prägten die Stadt. Traditionelle Arbeitgeber verschwanden, Filialketten zogen in die Innenstadt ein. Trotz stabiler Beschäftigungslage wandelte sich das wirtschaftliche Gesicht der Stadt spürbar.
Kulturell blieb Rosenheim lebendig, neue Projekte wurden angestoßen, die Einwohnerzahl hielt sich stabil. Die Stadt war im Jahr 2000 weder frei von Sorgen noch rückständig – sondern mitten in einem umfassenden Wandel.
Was bleibt – gerade an Weihnachten
Der Blick zurück zeigt: Sorgen, Krisen und Unsicherheiten begleiten die Menschen seit jeher. Inflation, Energieknappheit, Wohnungsnot, politische Spannungen oder Zukunftsängste sind keine Erscheinungen der Gegenwart. Sie kehren in unterschiedlichen Formen immer wieder.
Die Rosenheimer Historikerin Lydia Zellner ordnet den oft gehörten Satz „Früher war alles besser“ nüchtern ein. Objektiv lasse sich diese Aussage nicht bestätigen. Vielmehr erinnerten sich viele Menschen im Alter vor allem an ihre eigene Jugend – und mit ihr an schöne Erlebnisse. „Es kommt immer auf den persönlichen Blickwinkel an“, sagt Zellner.
Gerade an Weihnachten kann dieser Blick zurück helfen, die Gegenwart einzuordnen. Jede Generation stand vor Herausforderungen – und hat Wege gefunden, damit umzugehen. Vielleicht liegt darin die eigentliche Zuversicht dieses Tages: dass auch die Sorgen von heute nicht das letzte Kapitel sind. Und dass Hoffnung, Zusammenhalt und der Blick nach vorn zu jeder Zeit möglich waren – und es auch bleiben.💫
(Quelle: Artikel: Karin Wunsam / Beitragsbild: / Fotos: Archiv Herbert Borrmann)






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