Rosenheim – Jeden Donnerstag schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal erklärt er leicht verständlich, was Psychoanalyse überhaupt ist:
Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re
Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos:
Bei dem Begriff „Psychoanalyse“ denkt man erst einmal an eine Couch.
Psychoanalyse
Bei dem Begriff „Psychoanalyse“ denkt man erst mal an eine lange Couch, auf der ein Patient liegt und etwas erzählt. Am Kopfende sitzt ein alter bärtiger Mann mit Brille auf einem Stuhl und schreibt etwas auf. Das ist nicht ganz falsch. Der Patient soll möglichst entspannt und unbeeinflusst erzählen, was ihn bewegt. Der Pionier der Methode hatte schon als junger Mann einen Bart und trug später eine Brille: Sigmund Freud.
Vor gut 100 Jahren hat er die Methode der Psychoanalyse entwickelt. Dabei geht es um die Beschreibung des Unbewussten, das jeder Mensch hat. Dieses hat großen Einfluss auf die Gedanken und Handlungen der Menschen.
Unbewusste entwickelt sich von Kindesbeinen an
Das Unbewusste entwickelt sich von Kindesbeinen an. Es wird beeinflusst von dem, was man erlebt. Dazu hat Freud verschiedene Stadien der Entwicklung vom Baby zum Erwachsenen beschrieben. Vom Aufbau einer Bindung zur Mutter zur allmählichen Abnabelung und Gewinnung einer eigenen Persönlichkeit. Wenn das Durchlaufen der einzelnen Entwicklungsstadien Schwierigkeiten bereitet, können psychische Störungen entstehen, die sich erst später zeigen. Zum Beispiel Angstzustände, Bindungsprobleme, Zwänge.
Die Psychoanalyse versucht nun, die Ursachen solcher Störungen herauszufinden und wenn möglich zu beheben. Der Patient soll zunächst möglich unbeeinflusst erzählen, was ihm in den Sinn kommt. Dazu können auch seine Träume erzählen. Der Psychoanalytiker schreibt einfach nur auf, was der Patient sagt. Zunächst wird nichts kommentiert oder gefragt. Das entspricht der eingangs geschilderten Szene.
Der Psychoanalytiker konzentriert sich auf vom Patienten geschilderte Konflikte. Diese entstehen bevorzugt durch Wünsche, die dem Kind, aber auch dem Heranwachsenden nicht erfüllt werden. Es können aber auch Wünsche sein, deren Erfüllung sich der Patient selbst untersagt hat. Um dies zu beschreiben, hat Freud ein Modell entwickelt, indem er einzelne Elemente des menschlichen Entscheidungsprozesses definiert. Er bezeichnet diese mit den Begriffen „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“. Das hast du vielleicht schon einmal gehört und ist mit Freud in etwa derart verbunden, wie sein Bart und seine Brille.
„Es“ , „Über-ich“ und „Ich“
Unter dem „Es“ versteht er nun die Wünsche und Bedürfnisse. Unter dem „Über-Ich“ die gesellschaftlichen Regeln. Aber auch das eigene Gewissen, das die Regeln beinhaltet. Das „Ich“ entscheidet nun, was der Mensch letztendlich macht.
Ein Beispiel. Das Es würde gerne ein Eis essen. Im Über-Ich werden nun die Regeln ins Spiel gebracht: „wolltest du nicht gerade abnehmen“, „mitten in der Nacht?“, „du hattest doch gerade schon eins“. Das Ich entschiedet nun, was geschieht und kann sich dabei auf die eine oder andere Seite schlagen. Oder vielleicht sogar einen genialen Kompromiss finden. Bei Eis oder nicht, wird es sich wohl entschieden müssen, fürchte ich. Das Ich kann das Abnehmen auf morgen verschieben, mitten in der Nacht zum Kühlschrank gehen oder ein zweites Eis essen. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, eine der beiden Seiten kommt weniger zum Tragen. Daraus entstehen Defizite und Konflikte, die mehr oder weniger gut verarbeitet werden bzw. Störungen in der psychischen Gesundheit des Patienten auslösen.
Auf die Suche nach schlecht verarbeiteten, unterdrückten früheren Konflikten begibt sich nun die Psychoanalyse. Sie orientiert sich dabei an den Abwehrmechanismen, die der Patient in seiner Erzählung entwickelt, um die beschriebenen Defizite nicht wahrnehmen zu müssen. Es gibt verschiedene Abwehrmechanismen. Verdrängung/Verleugnung ist einer der bekanntesten: „Ich wollte doch erst ab morgen abnehmen“, „Habe ich wirklich schon ein Eis gegessen?“. Oder Verschiebung. Statt dem Arbeitskollegen die Meinung zu sagen, wird der Hund geschimpft.
Nachdem der Patient umfänglich berichtet hat, was ihn bewegt, schaltet sich der Psychoanalytiker ein. Er identifiziert zunächst die entscheidenden Punkte des Konflikts und konfrontiert den Patienten damit. Nun werden die Ergebnisse diskutiert, der Psychoanalytiker macht Vorschläge für die Verarbeitung und für deren Umsetzung.
Psychoanalyse wird nicht mehr oft durchgeführt
Psychoanalyse wird heutzutage nicht mehr oft durchgeführt. Zum einen dauert es natürlich sehr lange, bis der Patient alles erzählt hat, was ihm so einfällt. Das kann schon mal Jahre dauern. Zum anderen gibt es inzwischen Therapien, die anders vorgehen, aber dem Patienten in sehr viel kürzerer Zeit helfen. Nicht zuletzt wurden Therapien entwickelt, die der Psychoanalyse verwandt sind, in der aber der Therapeut eine viel aktivere Rolle einnimmt. Er wartet nicht ab, bis der Patient alles erzählt hat, sondern lenkt das Gespräch gezielt in Richtung auf das vermutete Problem. Dadurch kann sehr viel Zeit eingespart werden.
Hast Du noch Fragen, frag mich: info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.
In der nächsten Woche geht es in meiner Kolumne über „Das Kind kommt nicht vom Handy los“ ADHS.
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M.A. / Beitragsbild, Fotos: re)
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