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Interview zum Weltfrauentag

Karin Wunsam

Schreibt immer schon leidenschaftlich gern. Ihre journalistischen Wurzeln liegen beim OVB-Medienhaus. Mit der Geburt ihrer drei Kinder verabschiedete sie sich nach gut 10 Jahren von ihrer Festanstellung als Redakteurin und arbeitet seitdem freiberuflich für die verschiedensten Medien-Unternehmen in der Region Rosenheim.

8. März 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Rosenheim – Am heutigen Dienstag, 8. März, ist Weltfrauentag. Seit über 100 Jahren demonstrieren Frauen an diesem Tag weltweit für mehr Rechte und Gleichstellung. Seit damals hat sich vieles verändert. Aber der Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichstellung ist noch lange nicht zu Ende, wie ein Gespräch von Innpuls.me mit Christine Mayer, Gleichstellungsbeauftrage von Rosenheim, zeigt.

Frage: Eigentlich könnte „Frau“ meinen, dass Gleichberichtigung in unserer Zeit endlich kein Thema mehr ist. Schließlich dürfen wir doch alles, was die Männer auch dürfen, oder?
Antwort: Eigentlich ja! Natürlich wurde schon viel erreicht in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Es zeigt sich auch ein positiver Trend bei der Erwerbsbeteiligung und bei den Einkommen von Frauen. Dieser Trend muss jetzt weiter fortgesetzt werden.
Bei der Kinderbetreuung stagniert die Geschlechteraufteilung dagegen auf hohem Niveau. Aber es gibt leider noch viele Bereiche, in denen noch deutlich nachgebessert werden muss. Egal ob bei der westlichen Medizin, dem Sicherheitsgurt im Auto und selbst bei der Anzahl der öffentlichen Toiletten – vieles ist nach wie vor auf den Mann ausgerichtet.

Frage: Die Corona-Pandemie stellte Eltern vor besondere Herausforderungen. Schulen und Kitas viele Wochen dicht. Die Kinder daheim. Hat diese Zeit Auswirkungen auf die Gleichstellung gehabt?
Antwort: Frauen tragen nach wie vor deutlich häufiger als Männer die Hauptlast an der Kinderbetreuung. Das galt vor der Pandemie und stieg im Laufe der Pandemie sogar auf ein höheres Niveau als vor der Krise. Laut einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) gaben weit über 60 Prozent der Mütter an, dass sie den Großteil der Betreuung übernehmen.
Die Folgen? Wer weniger bezahlte Arbeit verrichtet, verdient weniger und zahlt weniger in die Rentenkasse ein. Die Gründe? Liegen häufig im traditionellen Rollenbild, das Frauen und Männer gleichermaßen auch heute noch vertreten und leben. Allerdings wäre es völlig unzulässig, diejenigen Frauen, die sich bewusst für die Kindererziehung entscheiden, wegen ihres Rollenverständnisses aus der Perspektive der Geschlechterpolitik zu diskriminieren.
Ich habe mehrere junge Frauen befragt. Gerne zitiere ich eine junge Frau. Sie steht exemplarisch für die Y –Generation. „Meine Mutter ist für uns Kinder zu Hause geblieben. Das möchte ich ebenfalls. Die Frau soll selbst zwischen Eigen- und Fremdbetreuung entscheiden können und für beide Optionen volle Anerkennung erhalten. Von Politik und Gesellschaft erwarte ich, dass Frauen, die sich für Kind und Haus entscheiden, dadurch keine Nachteile haben, weder beim Wiedereinstieg in den Beruf noch bei der Rente.“ Laura, 27 Jahre, Verwaltungsfachwirtin.
Das wäre natürlich schön. Aber die Realität sieht oft anders aus. Die Scheidungsraten sind hoch, danach hat die Frau oft das Nachsehen. Ein Wiedereinstieg in den Beruf ist gerade nach einer längeren Elternpause meistens sehr schwierig, wirtschaftliche Unabhängigkeit in vielen Fällen nicht gegeben. Und mit der Rente sieht es später folglich auch schlecht aus.

Frage: Momentan großes Thema ist das Gendern. Wir haben uns dazu entschlossen auf Innpuls.me nicht zu gendern, weil wir der Meinung sind, Gleichberechtigung auf Papier oder Bildschirm bringt wenig, Sie muss gelebt werden. Wie sehen Sie das?
Antwort: Ich vermute, dass Sie Gendern mit der geschlechtergerechten Sprache verbinden. Das ist nach meiner ganz persönlichen Meinung ein ganz wichtiges und leider oft unterschätztes Thema. Man muss sich bewusst machen, Sprache schafft Wirklichkeit! Denn jeder Gedanke, jedes gesprochene Wort erzeugt ein Bild in unserem Kopf. Wenn ich zu Ihnen sage: Bitte denken Sie jetzt an eine Krankenschwester. Welches Bild haben Sie dann im Kopf? Haben Sie an eine männliche Krankenschwester gedacht? Wohl kaum. Seit auch Männer diesen Beruf ausüben, sprechen wir von Pflegern oder Pflegekräften. Schon an diesem Beispiel sieht man, Sprache verändert sich. Das ist notwendig, braucht aber in erster Linie Akzeptanz und die Bereitschaft, bestehende Formulierungen zu verändern. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein längerer Prozess in kleinen Schritten. Bei der Stadtverwaltung Rosenheim haben wir uns ganz bewusst gegen alle Merkwürdigkeiten der „Gendersprache“ entschieden.  Wir sprechen von Bürgerinnen und Bürgern, Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das ist grammatikalisch sauberes Deutsch und gendergerecht. Eine geschlechterbewusste Sprache, also die Einbindung von Männern und Frauen, ist seit vielen Jahren Praxis. Ich weise als Gleichstellungsbeauftragte regelmäßig darauf hin, wie wichtig es ist, unterschiedliche Geschlechter auch sprachlich sichtbar zu machen.

Frage: Kommen wir doch mal speziell auf die Stadt Rosenheim. Wie steht es bei uns mit der Gleichberechtigung von uns Frauen?
Antwort: Die Stadtverwaltung Rosenheim beschäftigt momentan rund 58 Prozent Frauen. Wir bilden auch bedeutend mehr Frauen als Männer gut aus. Mittlerweile haben wir 40 Prozent weibliche Führungskräfte. Gerade in der öffentlichen Verwaltung und damit auch bei der Stadtverwaltung ist der Wiedereinstieg nach der Eltern- und Erziehungszeit problemlos möglich. Wir haben momentan sehr viele verschiedene Teilzeitmodelle im Einsatz und ermöglichen Telearbeit und mobiles Arbeiten. Ich glaube, die Gleichberechtigung von uns Frauen wird vom Arbeitgeber Stadt bestens gelebt.

Frage: Ist bei uns am 8. März auch ein spezielles Programm zum Weltfrauentag geplant?
Antwort: Dieses Jahr holen wir die Wanderausstellung „Alles unter einen Hut!?“ nach Rosenheim. Die Ausstellung ist im Foyer der Technischen Hochschule noch bis zum 12. März zu besichtigen. Am vergangenen Freitag hat das Aktionsbündnis „Internationaler Frauentag Rosenheim“ eine Präsentation mit den Akteurinnen veranstaltet.
Bereits seit 28 Jahren ist das Aktionsbündnis aktiv. Derzeit tragen fast 30 Gruppierungen zum Gelingen der Ausstellungseröffnung bei. Wir haben schon einen riesigen Hut kreiert und stellen uns die Frage: „Wie groß muss ein Hut sein, dass Frau alles darunter bekommt!“. Eröffnet wurde die Ausstellung von der Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin Ursula Winkler aus Kempten. Wir Frauen vom Aktionsbündnis haben die Eröffnung mit unseren Forderungen und Statements begleitet. Getreu dem Motto: Mit Leidenschaft und Fleiß lässt sich viel erreichen – aber eben (noch) nicht alles! Und nicht vergessen – manchmal ist es notwendig und gut, einige Aufgaben den Männern zu überlassen.
(Quelle: Beitragsbild: Copyright: Fineartservice Weiand)

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