Deutschland / Bayern / Rosenheim – Besonders im Frühling und Frühsommer fallen flauschige Jungvögel auf, die anscheinend hilflos zurückgelassen wurden. Doch wann brauchen diese Tiere unsere Unterstützung?
„Gerade bei Jungvögeln ist der erste Impuls, helfen zu wollen, nicht immer richtig“, sagt Jonas Liebhauser, Fachreferent für Heimtiere beim BNA.
Ist der Vogel wirklich hilflos?
Bei älteren Tieren ist eine mögliche Notsituation relativ leicht einzuschätzen: Ein fehlender Fluchtreflex, geschlossene Augen, aufgeplustertes und/oder verschmutztes Gefieder sowie erkennbare Verletzungen sind deutliche Zeichen für hilfsbedürftige Tiere.
Bei Jungvögeln muss man dagegen etwas genauer hinschauen. Schon für eine erste Einschätzung braucht es eine gewisse Artenkenntnis. Enten, Gänse und Hühner zum Beispiel sind „Nestflüchter“: Die Jungen haben direkt nach dem Schlupf bereits ein Daunengefieder, die Augen sind offen und die Tiere suchen sich, unter Anleitung ihrer Eltern, ihr Futter selbst. Hinweise auf eine mögliche Gefahrensituation sind hier laut rufende und orientierungslos umherlaufende Jungtiere.
Bei den meisten einheimischen Vogelarten schlüpfen die Jungen dagegen nackt und blind. Diese „Nesthocker“ sind auf Fütterung und gerade in den ersten Lebenstagen auch auf die Körperwärme ihrer Eltern angewiesen.
Nestling oder Ästling?
Nestling und Ästling sind zwei wichtige Entwicklungsstufen bei nesthockenden Vögeln. Solange die Jungvögel sich noch im Nest befinden, werden sie Nestlinge genannt. In dieser Phase ändert sich das Aussehen der Vögel sehr stark. Innerhalb weniger Tage wachsen Federn, die Augen öffnen sich und die Jungtiere werden immer agiler. Für diese schnelle Entwicklung müssen die Altvögel große Mengen an Nahrung herbeischaffen. Ist das Nest aber heruntergefallen, wird es nicht mehr angeflogen, verstummen die Bettelrufe der Jungen oder beginnen diese auszukühlen, liegt ein Notfall vor.
Nachdem die Vögel das Nest verlassen haben, beginnt die Ästlingsphase: Äußerlich sind Ästlinge oft an den noch vorhandenen Flaumfedern am Kopf, dem Schnabelwulst sowie dem kurzen Schwanzgefieder zu erkennen. Sie fliegen kurze Strecken und lernen dabei ihre Umgebung kennen. Jetzt halten sich die Tiere vermehrt in den Ästen von Bäumen und Sträuchern auf, daher der Name dieses Lebensabschnitts. Größere Distanzen fliegen und eigenständig Nahrung zu sich nehmen können die Jungtiere noch nicht. Vielmehr rufen sie lautstark nach ihren Eltern. Solche Jungvögel brauchen keine Rettung. Die Eltern halten sich in der Nähe auf und beschaffen weiterhin Futter für die Brut. Daher appelliert Jonas Liebhauser dringend, diese Tiere nicht mitzunehmen: Auch wenn die kleinen Jungvögel auf den ersten Blick hilflos wirken, sind sie es oft nicht. Sollte sich ein unerfahrener, aber agil wirkender Ästling nahe einer Straße oder mitten auf einer Rasenfläche aufhalten, genügt es in der Regel, ihn in eine nahegelegene Hecke oder unter einen Baum zu setzen. Lediglich matte, unterkühlte Ästlinge benötigen Hilfe.
Wie finde ich Hilfe?
Hilflose oder verletzte Wildvögel zu versorgen, erfordert nicht nur fundierte Fachkenntnisse, sondern auch das richtige Futter und gegebenenfalls eine medizinische Notfallversorgung. Daher sollten sich interessierte Laien oder Gartenbesitzer schon vorab erkundigen, wo den Tieren geholfen werden kann. Über das Internet lassen sich auf Vögel spezialisierte Tierärzte oder Pflegestellen ausfindig machen, die sich mit der Behandlung und der weiteren Aufzucht der Tiere bestens auskennen. Geeignete Schlagwörter sind „Wildvogelhilfe“ oder „Pflegestelle für Wildvögel“ sowie die eigene Postleitzahl.
Es hilft, diese Stellen bereits zu kontaktieren, bevor man das Tier mit zu sich nach Hause nehmen will. Eventuell braucht der Vogel keine Hilfe und kann stattdessen an Ort und Stelle bleiben.
Erste (Wildvogel-)Hilfe
Vielleicht muss aber doch einmal ein verletzter/hilfloser Wildvogel kurzfristig in Obhut genommen werden, bevor er an eine sachkundige Person beziehungsweise Stelle übergeben werden kann. Der Vogel befindet sich durch den direkten menschlichen Kontakt bereits in einer erheblichen Stresssituation. Um den Stress zu mindern, kann das Tier in einen mit Luftlöchern versehenen kleineren Karton gesetzt werden. Als Untergrund bietet sich Küchenpapier oder ein Handtuch an. Der Karton sollte an einem ruhigen Ort stehen, damit das Tier sich beruhigen und anschließend an eine passende Pflegestelle übergeben werden kann, empfiehlt Jonas Liebhauser.
Bei hilfebedürftigen Nest- und Ästlingen oder unterkühlten Tieren ist auch Wärme wichtig. Dazu können beispielsweise Wärmekissen oder Wärmflaschen eingesetzt werden. Die Temperatur sollte bei mindestens 20 Grad Celsius liegen, bei nackten und/oder nur schwach befiederten Küken etwas höher, aber nicht über 38 Grad. Sperren die Jungen die Schnäbel auf, kann ihnen Futter angeboten werden. Die meisten einheimischen Vogelarten ziehen ihre Jungen mit Insekten groß. Nur wenige Arten, zum Beispiel Stieglitz, Hänfling, Grünfink, ernähren ihre Jungen ausschließlich pflanzlich. Bitte den Jungtieren kein Wasser oder Futter einflößen, da die Gefahr besteht, dass es in die Atemwege gerät.
Vögel, die gegen eine Scheibe geflogen sind, können ebenfalls in einem Karton Ruhe finden (keine Wärme.). Sollte sich ihr Zustand schnell verbessern, können sie getrost weiterfliegen. Ansonsten benötigen sie medizinische Hilfe. Bei Vögeln, die eine Katze oder ein Hund lebend als Beute beziehungsweise Präsent den Besitzern bringt, muss immer eine tiermedizinische Behandlung erfolgen. Denn über kleinste Wunden in der Haut können gefährliche Bakterien aus dem Speichel der Säuger in den Vogelkörper gelangen, die innerhalb von Stunden zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung führen.
Kein rechtsfreier Raum
Den Umgang mit und die Handhabung von verletzten oder hilflosen Vögeln regeln das Tier- und Artenschutzrecht, unter Umständen auch das Jagdrecht. Hiernach dürfen nur sachkundige Personen Fundvögel aufziehen, stets mit dem Ziel der Auswilderung. Das setzt auch voraus, dass beispielsweise Jungvögel nicht auf den Menschen geprägt werden. Das alles ist bei schwerverletzten Tieren häufig nicht mehr möglich. In ihrem Sinne sollte ein Tierarzt sie einschläfern.
Spezialisierte Pflegestellen haben nicht nur das Wissen, sondern auch die Befugnis, Wildvögel für die Zeit, bis sie wieder in die Wildnis entlassen werden können, an sich zu nehmen. Bei Fragen sollte man am besten direkt die Pflegestellen kontaktieren und sich auf deren Expertise verlassen.
Gefahren für den Finder
Der Umgang mit Wildvögeln kann auch für den Finder gesundheitliche Risiken bergen. Daher sollte man entsprechende Hygienemaßnahmen beachten, zum Beispiel Einmal-Handschuhe tragen, Hände desinfizieren.
(Quelle: Pressemitteilung BNA/IVH / Beitragsbild: Symbolfoto re)