Rosenheim – Jeden Donnerstag schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal geht es um ADHS.
Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re
Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos:
Mal geistig abwesend, mal nicht zu bremsen und irgendwie außerhalb der „Normalität“. Was tun, wenn man derartige Auffälligkeiten bei seinem Kind entdeckt?
ADHS – Mal geistig abwesend, mal nicht zu bremsen
Was soll ich nur machen, fragt die Mutter? Mal sitzt der Junge weitestgehend abwesend in der Ecke, ist total lethargisch. Seine Hausaufgaben bekommt er nicht geregelt, kann kaum einen vollständigen Satz schreiben. Wenn ich ihn zum Bäcker um die Ecke Brot holen schicke, kommt er mit irgendetwas anderem zurück. Und ein anderes mal ist er nicht zu bremsen. Tobt über den Schulhof, ist laut, ärgert die anderen. Sogar der Lehrer hat vor kurzem angerufen, sie solle bei Gelegenheit mal vorbeischauen.
Dabei war er früher so ein liebes Kind. Hat im Kindergarten alles brav gelernt, war nett mit den Großeltern. Jetzt ist er abwechselnd Punk oder Schlafmütze. Fast abwesend wie im Rausch oder total aufgedreht. Und das soll ein und dasselbe Kind sein?
Ja, in der Tat. Es handelt sich streng genommen zwar um zwei verschiedene Auffälligkeiten: Aufmerksamkeitsdefizitstörung und Hyperaktivitätsstörung. Beide können separat vorkommen, aber auch zusammen vorliegen. Wird dann ADHS genannt. Sieht man meistens bei Jungs und oft schon vor der Einschulung. Kann sogar bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.
Oftmals überdurchschnittlich intelligent
Im Einzelnen. Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung äußert sich in mangelnder Konzentration, Flüchtigkeitsfehlern auch in der Unfähigkeit, sich längere Zeit auf eine Sache konzentrieren zu können. Häufig verlieren sie Gegenstände (Stifte, Schulbücher etc.). Lassen sich leicht ablenken. Dabei sind sie eigentlich völlig normal, eher sogar überdurchschnittlich intelligent. Die Sprachentwicklung ist ebenso normal.
Die Hyperaktivitätsstörung führt dazu, dass sie schlecht stillsitzen können und oft ein starkes Bewegungsbedürfnis haben. Es gibt aber auch eine starke Impulsivität und Erregbarkeit. Dabei wirken auch die sozialen Kontakte zur Umgebung gestört. Öfters werden sie schnell laut. Ein Streit ist leicht vom Zaun gebrochen.
Diese beiden Auffälligkeiten können bei ein und demselben Kind vorliegen. Die beiden Eigenschaften wechseln sich ab. Meist in sehr kurzen Abständen. Mitunter mehrmals jede Stunde.
Über die Ursachen ist bis heute wenig genaues bekannt. Man geht von Einflüssen im Erleben der werdenden Mütter aus. Es gibt auch organische und genetische Ursachen. Missbrauch von Substanzen während der Schwangerschaft spielt wohl ebenfalls eine Rolle. Und es ist möglicherweise vererbbar. Hat aber auch schon Unregelmäßigkeiten im Hirnstoffwechsel der Betroffenen festgestellt. Wegen der organischen Aspekte kommen mitunter Psychopharmaka zum Einsatz. Bei der Hyperaktivitätsstörung können sie dazu beitragen, die Kinder soweit zu beruhigen, dass erzieherische Maßnahmen überhaupt erst möglich sind.
Rabaukentum gemischt mit Tagträumereien
Wenn man mit den auffälligen Kindern mal in Ruhe redet, fühlen sie sich auch nicht wohl. Man sollte aber überlegen, ob es sich über eine regelrechte Störung oder ganz normales, jugendliches Rabaukentum gemischt mit Tagträumereien handelt. Man könnte das auch Pubertät nennen. Die Grenze ist überschritten, wenn eine deutliche Beeinträchtigung des familiären bzw. schulischen Zusammenlebens, verbunden mit einem drastischen Abfall der Schulnoten festzustellen ist. Ich kann dir zum Beispiel sagen, dass ich selbst als Kind und Jugendlicher ab und zu Konzentrationsschwierigkeiten hatte. Vielleicht erinnerst du dich ja noch an Ähnliches aus deiner eigenen Jugend. Wirklich schlechte Noten gab es trotzdem selten und das Abitur habe ich ohne Ehrenrunde geschafft
Erste Anlaufstelle und Hilfe bieten die Schulberater. Um Klarheit zu bekommen, ob nur eine Auffälligkeit vorliegt, oder ob mehr dahintersteckt, sollte die Mutter unbedingt den Lehrer zurückrufen und einen Termin ausmachen. Danach kann sich alles weitere finden.
Kinder, die mit dem Problem allein gelassen werden, können unangenehme Eigenschaften entwickeln. Dazu zählen Tic-Störungen, Legasthenie, Sprach- und Angststörungen. Im Erwachsenenalter können Substanzmissbrauch und Depressionen hinzutreten. Die Schwierigkeiten im Umgang mit Autoritätspersonen können sogar zu Gesetzesverstössen führen. Mit ein wenig Hilfe kann aus dem Jungen aber noch etwas ganz ordentliches werden.
Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.
In der nächsten Woche ist jemand „ganz schön eingebildet“
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild, Foto: re)
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