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Opa wird vergesslich

Schattenfigur - alter Mann geht an Baum mit vielen Ästen vorbei

Karin Wunsam

Schreibt immer schon leidenschaftlich gern. Ihre journalistischen Wurzeln liegen beim OVB-Medienhaus. Mit der Geburt ihrer drei Kinder verabschiedete sie sich nach gut 10 Jahren von ihrer Festanstellung als Redakteurin und arbeitet seitdem freiberuflich für die verschiedensten Medien-Unternehmen in der Region Rosenheim.

23. März 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Rosenheim – Jeden Donnerstag schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Der Titel seiner heutigen Kolumne lautet: „Opa wird vergesslich“.

Dr. Alexander Wurthmann M.A.

Dr. Alexander Wurthmann. M. A. Foto: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos: 

Auf einer Hängematte sitzen eine alte und eine junge Frau mit schwarzen Winterjacken und blicken auf ein Gewässer. Fotografiert von hinten.

Wie umgehen mit Menschen, die Demenz haben? Nachsicht ist ebenso wichtig wie liebevolle Gesten. Foto: Symbolfoto re

Opa wird vergesslich

Hast du auch so einen Opa oder so eine Oma? Die vergessen haben, dass du sie heute zum Arzt fahren wolltest und jetzt noch nicht fertig angezogen sind. Oder du kommst wie besprochen mit Kuchen und kein Kaffee ist fertig. Also musst du mit den Schuhen helfen oder Kaffee kochen und den Tisch decken. Das kommt immer häufiger vor und man kann sich kaum vorstellen, dass sie so kleine Sachen so oft einfach vergessen. Aber stundenlang können sie dir erzählen, was du doch für ein hübsches Baby warst. Und wie Opa am Ende des zweiten Weltkriegs zunächst verschollen war und dann nach einigen Jahren doch aus der Gefangenschaft wieder nach Hause kam. Und was sie danach für ein Fest gefeiert haben. Aber die Mülltonnen rausstellen, vergessen sie. Wie kann so etwas überhaupt sein?

Im Alter lässt das Gehirn nach

Ja, das kann so sein. Ältere Menschen haben einfach viel mehr Informationen in ihrem Gehirn abgespeichert. Darum dauert es auch etwas länger, das alles auf der Suche nach den benötigten Informationen zu durchstreifen. Die wichtigen Informationen, von denen man genau weiß, wo sie abgespeichert sind, weil man sie schon oft aufgesucht und erzählt hat, findet man viel schneller. Die Mülltonnen verlieren natürlich das Rennen um die Aufmerksamkeit gegen Weltkriege und die Heimkehr des über alles geliebten Opa. Die beiden waren damals nämlich noch ähnlich jung wie du heute und so überglücklich, dass sie sich wiederbekommen haben. Erst recht, wenn Opa unverletzt zurückkam und Omas Elternhaus im Krieg nicht beschädigt wurde. Die Geburt von Kindern und Enkelkindern ist ein viel einprägsameres Ereignis als der Transport voller Mülleimer an die Bordsteinkante.
Natürlich ist es manchmal nervig, wenn sie ganz einfache Dinge vergessen. Sie bemühen sich ja und es ist ihnen immer ein wenig peinlich, wenn’s doch mal wieder passiert. Wobei sie ja eigentlich gar nichts dafürkönnen. Absichtlich machen sie es bestimmt nicht. Man weiß ja, dass im Alter das Gedächtnis nachlässt.

Wenn die Butter im Schuhschrank liegt

Und dann hast du mal einen Artikel über Demenz gelesen. Mit noch weiteren unbekannten Ausdrücken: Alzheimer, Parkinson, Zerebralsklerose. Und fragst dich, was das eigentlich genau ist.
Dann fangen wir mal mit „Demenz“ an. Das ist ein Sammelbegriff für Einschränkungen, die man im Alter bekommen kann. Die Gedächtnisleistung lässt nach, das Denken, Planen und Organisieren auch. Das Gehirn kann einfach nicht mehr so, wie es früher konnte. Wenn es sechzig oder siebzig Jahre lang aktiv war, darf es auch mal etwas kürzer treten. Dein Knie klemmt ja sogar jetzt schon ab und zu. Auch im Gehirn nutzen sich manche Dinge eben ab. Zum Beispiel die Gehirnmasse selbst. Das nennt man dann Alzheimer-Krankheit. Das ist die häufigste Form von Demenz. Wenn die Blutgefässe zur Versorgung des Gehirns nicht mehr so funktionieren, sprechen wir von Vaskulärer Demenz – früher Zerebralsklerose genannt. Dann gibt es noch die Parkinsonsche Krankheit. Eine neurologische Erkrankung, aus der sich später eine Demenz entwickeln kann.
Bei fortgeschrittener Demenz können neben den oben beschriebenen Auswirkungen auch noch Schwierigkeiten mit Alltagsfertigkeiten entstehen. Dann liegt die Butter eben im Schuhschrank. Ganz allmählich ziehen sich demente Menschen dann gesellschaftlich zurück. Manchmal könnte man fast glauben, von dementen Menschen sei – je älter sie werden – immer weniger übrig.
Leider kann man Demenz nicht heilen oder rückgängig machen. Man kann die zunehmenden Einschränkungen nur verlangsamen. Meist ist sie die Erkrankung, an deren Ende auch das Leben endet. Medizinisch kann man mit Medikamenten versuchen einige Symptome zu lindern. Da es sich um eine organisch bedingte Veränderung handelt, sollte der erste Weg in solchen Fragen immer zum Facharzt für Psychiatrie führen. Der kann auch verschiedene technische Untersuchungsmethoden (CT, MRT) anwenden, um den Abnutzungsgrad besser einschätzen zu können.

Ergänzend kann psychologisch geholfen werden. Die Denkfähigkeit kann gestützt bzw. teilweise erhalten werden. Dazu kommen Angst und Depressionen, die entstehen, weil die Betroffenen selbst merken, dass sich bei ihnen etwas verschlechtert. Hier kann man ebenfalls psychologisch einwirken. Um die Erkrankten nicht weiter abstumpfen zu lassen, sind Kunst- und Gestaltungstherapie, Musik- und Tanztherapie hilfreich.
Was heisst das jetzt für dich? Zunächst einmal ist das Lebensende unvermeidlich. Ob nun wegen Alzheimer oder etwas anderem. Aber meistens hat man ja noch ein paar Jahre, die man mit Oma und Opa geniessen kann. In denen auch die beiden miteinander noch eine schöne Zeit haben.
In diesen nächsten Jahren bist du für sie ganz, ganz wichtig! Alle alten Menschen – insbesondere demente – brauchen den Kontakt zu den Menschen, die sie lieben. Das hält sie oft ein wenig vom Rückzug ab und gibt ihrem Leben etwas Freude und Glanz.

Mit Zusammenreißen ist es nicht getan

Wie könntest du mit ihnen umgehen? Mach dir zunächst mal klar, dass hinter der Demenz keine Absicht steht. Es ist auch keine Nachlässigkeit, der man mit „einfach etwas mehr Zusammenreißen“ begegnen kann. So wie Du „Meniskus“ hast, haben sie einfach „Hirn“. Sie wissen auch besonders am Anfang um ihre kleinen Probleme und schämen sich meist dafür. Versuchen sie auch zu überdecken.
Also bitte, sei einfach etwas nachsichtig mit ihnen. Ich weiss, sie zu respektieren, heisst, sie ernst zu nehmen und Defizite anzusprechen. Man möchte nicht, dass sie sich nur noch geduldet fühlen. Dass sie das Gefühl haben, dass sie nicht einmal mehr einen Widerspruch wert sind. Aber mach nicht den Fehler und sei zu streng.
Irgendwann ist es nur noch wichtig, dass sie einfach und oft in den Arm genommen werden. Für sie und auch für dich ist das wichtig. Verpass den Zeitpunkt nicht! Dafür ist es leicht zu spät, aber niemals zu früh. Du bist jetzt so wichtig wie Opa, der Gott-sei-Dank unverletzt aus dem Krieg wieder nach Hause kam. Diese Freude – deine Freude – können sie immer und immer wieder erleben. Und du auch.

Oma, denkst du dran, dass ich Samstag komme und dir einkaufen helfe?
Ja.
Sicher?
Ja!
Ich rufe vorher kurz an.
Das ist lieb von dir!

Dr. Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild: re)

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