Rosenheim – Jeden Donnerstag schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Der Titel seiner heutigen Kolumne lautet: „Wenn Zwänge Dein Leben bestimmen“.
Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re
Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos:
Es gibt viele verschiedene Zwänge. Entscheidend ist, wie man damit leben kann.
Wäscht sich heimlich die Hände
Du kennst ihn nicht gut. Er hält sich immer etwas abseits. Freundlich, aber schüchtern. Du fragst dich schon, ob er vielleicht etwas zu verbergen hat.
Und dann, eines Tages, blockiert er sehr lange das Bad in einer Wohnung bei Freunden. Das Wasser läuft sehr lange. Als er endlich herauskommt, scheint er erschreckt, dass draußen jemand wartet. Du fragst ihn, ob alles gut ist. Ob er sich verletzt hat. Nein, nein, er mache sich immer gründlich sauber und geht schnell fort.
Wochen später fragst du ihn nochmal, ob wirklich alles in Ordnung ist. Ja, er brauche das. Wozu? Damit es leichter wird. Was denn? Lange Pause. Die Verschmutzung. Jetzt machst du die Pause. Eigentlich schaut er ganz gepflegt aus. Du möchtest ihm auch nicht zu nahetreten. Und dann erzählt er, dass er schon lange schwierige Gedanken hat. Und er erzählt über seine Ängste, sich schmutzig zu machen. Die hat er schon als Kind gehabt. Darum müsse er die Hände waschen. Und manchmal sogar mehr. Immer und immer wieder. Das sei zwar eigentlich sinnlos, aber er könne nicht anders. Und hoffentlich werden die Ängste dann auch weniger.
Viele Betroffene suchen lange keine Hilfe auf
Dass er mit dir darüber geredet hat, ist ihm bestimmt nicht einfach gefallen. Die meisten schämen sich – genau wie er auch – eher dafür und suchen auch lange keine Hilfe auf. Wir reden hier von einer Zwangserkrankung. Zwang ist alles, was man denkt oder macht, ohne es verhindern zu können, es aber trotzdem probiert. Die Erkrankten haben Zwangsgedanken oder begehen Zwangshandlungen, gegen deren Auftreten sie sich erfolglos wehren und die sie ebenso erfolglos versuchen abzumildern. Die Sinnlosigkeit des Abmilderungsversuchs ist ihnen auch bewusst. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gehen oft ineinander über.
Beginnen wir mit den Zwangsgedanken. Dieselben Gedanken kommen immer und immer wieder. Sie stehen oft im Gegensatz zu ihren eigenen Überzeugungen. Dein Bekannter ist im Alltag offenbar ein sehr reinlicher Mensch und hat trotzdem Angst vor Verschmutzung. Durch Zwangshandlungen in Form von zwanghaftem Händewaschen versucht er die Zwangsgedanken – seine Verschmutzungsangst – zu schmälern.
Die Gegenwehr gegen Zwangsgedanken kann auch gedanklich versucht werden. Wenn sie Angst haben, andere oder sich selbst zu verletzen, zählen manche in Gedanken von 1 bis unendlich (das ist ein Zählzwang), andere sagen immer wieder dieselben Wortfolgen auf.
Die Einordnung als Krankheit ist nicht immer einfach
Die Einordnung als Krankheit ist nicht immer einfach. Die Zwangshandlung ist im Grunde genommen eine gesellschaftlich akzeptierte Handlung. Da geht einer vor der Abfahrt in den Urlaub immer wieder durch die Wohnung und kontrolliert, ob alle Fenster zu sind. Und will am liebsten auch noch nach der ersten Fahrtstunde wieder zurück nach Hause, um noch mal nachzuschauen. Das bezeichnet man als Kontrollzwang. Eigentlich sehr sinnvoll. Bis die Mitreisenden vermutlich nach der dritten Umkehr rebellieren. Aber nicht sie sind massgeblich für die Einordnung als Erkrankung, sondern das Empfinden des Erkrankten selbst. Dabei spielen die empfundene Beeinträchtigung des eignen Lebens und die empfundene Sinnlosigkeit der Gegenwehr eine grosse Rolle. Nicht das Leiden der Umgebung, sondern der eigene Leidensdruck sind entscheiden.
Wie entstehen Zwänge. Da gibt es organische Aspekte und psychologische. Meistens sind Störungen im Hirnstoffwechsel zu beobachten. Daher werden Psychopharmaka eingesetzt. Oft kommen dann besondere Lebensereignisse hinzu (z.B. Tod eines nahen Verwandten). Neben dem Verschreiben von Pillen sind Zwänge eigentlich ein klassisches Beispiel für die Anwendung von Psychotherapie. Da es sich um problematisches Verhalten handelt, vor allem also der kognitiven Verhaltenstherapie. Dieser kann es gelingen, die Beschwerden des Patienten zu lindern. Ganz zu heilen, gelingt selten. Ein stabiler Zustand ist jedoch sehr wohl möglich.
Hast Du noch Fragen, frag mich.
In der nächsten Woche werde ich dir möglichst einfach erklären, was Psychoanalyse ist.
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M.A. / Beitragsbild, Fotos: re)
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