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Wie entsteht eigentlich Narzissmus?

Zerbrochener Vintage-Spiegel

Karin Wunsam

Schreibt immer schon leidenschaftlich gern. Ihre journalistischen Wurzeln liegen beim OVB-Medienhaus. Mit der Geburt ihrer drei Kinder verabschiedete sie sich nach gut 10 Jahren von ihrer Festanstellung als Redakteurin und arbeitet seitdem freiberuflich für die verschiedensten Medien-Unternehmen in der Region Rosenheim.

30. Juni 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

RosenheimRegelmäßig schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal geht es um Narzissmus.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos: 

Thron

Narzissten halten sich gerne einen „Hofstaat“.

Wie entsteht eigentlich Narzissmus?

Oha, da hat er aber wieder einen rausgehauen. Wie gut er ist und wie ihn alle bewundern. Wen er alles kennt und welchen Einfluss er hat. So viele Leute geben etwas auf seine Ratschläge. Also, nicht alle. Manche nicht. Aber die müssen das dann bitter büssen. Selbst schuld.
Aber irgendetwas passt nicht zusammen. Er freut sich, wenn Du ihn bewunderst. Aber er interessiert sich nicht persönlich für Dich und ist seltsam gefühlskalt. Er interessiert sich kaum für deine Bedürfnisse, deine Sorgen und Nöte. Über ein gewisses Niveau geht seine Hinwendung zu Dir nicht hinaus. Hauptsache, du bewunderst ihn. Er bittet „Anhänger“ auch gerne um einen Gefallen. Er hält das wohl für selbstverständlich und lobt denjenigen dann überschwänglich.

Narzisstische Kränkung

Wenn du kein Fanboy oder Fangirl bist, verliert er unmittelbar das Interesse an Dir. Manchmal, wenn er sich nicht beobachtet fühlt, nimmst du völlig unerwartet Zeichen der Unsicherheit an ihm wahr. Aber nur ganz kurz. Dann „glänzt“ er wieder.
Oder auch nicht. Dann kann er dermaßen aus der Haut fahren, dass man Angst um ihn haben muss. Oder aber depressive Züge treten zutage. Narzisstische Kränkung nennt man das dann. Ein regelgerechter Zusammenbruch mit Herzproblemen oder ähnlichem ist dann möglich. Sogar Suizid ist nicht ausgeschlossen.
Und da ist auch schon der Fachausdruck für diese Auffälligkeit gefallen: Narzissmus. Jeder kennt einen, keiner mag sie. Jeder glaubt, sie sicher identifizieren zu können. Dabei handelt es sich bei den vermeintlichen Narzissten oft um simple, platte Angeber. Die anderen Anzeichen für Narzissmus werden übersehen.

Als Kind zu wenig Zuneigung erfahren

Wie entsteht Narzissmus eigentlich? Schon in der frühen Psychoanalyse bei Freud spielte der Narzissmus eine wichtige Rolle. Man nimmt an, dass der Narzisst als Kind zu wenig Zuneigung erfahren hat. Dieses Defizit muss er nun ausgleichen, indem er nach Bewunderung sucht und sich als besonders grossartig darstellt.
Um Narzissmus zu begreifen, sollte man sich an die griechische Sage vom Jüngling Narziss erinnern. Er wies alle Verehrer zurück. Auf Bitten eines Verschmähten bestrafte ein Gott den Narziss mit unstillbarer Selbstliebe. Er verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild, worüber er letztendlich starb.

Das ist nun etwas extremer als die üblichen Angeber. Und trotzdem, ist Narzissmus denn so verwerflich? Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Narzisst? Muss man nicht sogar ein bisschen von sich überzeugt sein, um etwas im Leben zu erreichen? Und wo wird die Grenze vom Narzissten zum Charismatiker überschritten, der mitreißend reden und die Menschen begeistern kann?

Ja, wo wird denn der Narzisst zum Narzissten? Wann wird aus einer in bestimmter Weise ausgeprägte Persönlichkeit eine Persönlichkeitsstörung? Es beginnt natürlich bei der Großspurigkeit. Mit wem vergleicht sich denn der potentielle Narzisst? Ist Gott dabei, oder der Bundestrainer? Aber Vorsicht, es gibt wirklich unerkannte Weltmeister in wenig bekannten Disziplinen unter uns. Und ganz stille superkluge Mathegenies. Und vielleicht hat der schon wirklich eine Begegnung mit einem Bären überlebt.

Narzisst oder Super-Hero?

Wie kannst du nun den Narzissten vom Super-Hero unterscheiden. Frag den Verdachts-Narzissten doch einfach mal nach seinen Heldentaten. Echte Könner erzählen spannende Geschichten, die über mehr als drei Sätze hinaus gehen und auch Nachfragen aushalten. Wenn der Erzählfluss austrocknet oder sich der Erzählende abrupt einem anderen Thema zuwendet, ist er vielleicht ein Narzisst. Echte Cracks können oft gar nicht mehr aufhören zu erzählen.

Frag doch auch mal, ob er schon als Kind oder Jugendlicher so besonders war. Narzissmus gehört zu den Persönlichkeitsstörungen. Die beginnen meist im Kinder- und Jugendlichenalter. Wenn er das bejaht, dann lass ihn doch ein Beispiel seiner frühen Erfolge erzählen. Wie oben: Wenn da nicht viel kommt, ist vielleicht auch nicht viel dahinter.
Und dann schau einfach, ob er seine Zuwendung auf einzelne Personen gezielt und ausgewählt einsetzt. Ob er einen „Hofstaat“ unterhält und alle anderen für „unwürdig“ hält. Ob er sich in Wirklichkeit nur oberflächlich für andere interessiert.

Nun kommen wir zum Entscheidenden: Wie gehst du am besten mit einem solchen Menschen um, wenn du nicht sein Anhänger werden möchtest? Abgrenzung ist hier gefragt. Dafür werden viele Patentrezepte präsentiert. Wer behauptet, das schon erfolgreich praktiziert zu haben, hat sich möglicherweise nur wie ein A….loch verhalten und einen an sich harmlosen, lebensfrohen Menschen übelst vorgeführt oder sogar gemobbt.

Am Anfang also musst Du sicher sein, es überhaupt mit einem Narzissten zu tun zu haben. Wie schon öfters: Frag gute Freunde ganz im Vertrauen nach ihrer Einschätzung. Gaaaanz im tiefen Vertrauen und in aller Vorsicht, denn … du weißt schon.

Narzissten kam man nur schwer ändern

Zunächst einmal ist es äußerst schwierig, einen Narzissten zu ändern. Da die Auffälligkeit im Kinder- und Jugendlichenalter beginnt, ist sie sehr tief verwurzelt. Narzissten gehen auch kaum zu Beratern mit der Bitte um Hilfe. Meist haben sie ein anderes Problem. Wenn dieses erfolgreich angegangen wurde, hat sich manchmal genügend Vertrauen angesammelt, dass man mal ganz vorsichtig den Narzissmus ansprechen kann, ob er vielleicht Hilfe haben möchte. Wenn der Narzisst blockiert, sollte man nichts erzwingen wollen.

Wie könntest Du dich also verhalten? Das hängt nicht zuletzt von Dir ab und deiner psychischen Konstitution. Im Extremfall stehen Kämpfen oder Fliehen zur Wahl. Dulden geht auch – wenn du dir das erlauben kannst. Alle drei sind Schutzstrategien. Beim Dulden schottest Du dich einfach nach außen ab. Wenn Su so willst, ist das auch eine Flucht: die nach innen. Er wird Dich dann versuchen unmöglich zu machen und verächtlich über Dich reden. Wenn das innerhalb deiner Clique geschieht, wird er auch versuchen Dich von gemeinsamen Aktivitäten auszuschließen. Teilnehmen lässt er Dich nur um den Preis deiner Unterwerfung in Form von Bewunderung für ihn. Und dann musst du möglicherweise ganz tief gebückt daherkommen.

Am Arbeitsplatz oder im Verein hast Du aber manchmal keine Wahl. Das Problem erledigt sich nicht unbedingt von selbst. Wenn Du eine robuste Natur hast, kannst Du kämpfen. Das braucht unter Umständen einen langen Atem. Da der Narzisst auf Bewunderung angewiesen ist wie auf die Luft zum Atmen, wird er um die ihn bewundernde Struktur kämpfen. Genau die musst Du ihm allerdings nehmen bzw. ihn zwingen woanders danach zu suchen.

Du musst sehr souverän sein und auf alle Dominanzversuche seinerseits sofort reagieren. Eigentlich musst Du nur drauf warten. Und dann ist es oft ganz leicht. Da es ihm nicht um die anderen geht, sondern letztendlich nur um sich selbst, ist er in der Sache meist ziemlich blank. Das kannst Du leicht vor den anderen aufdecken. Aber Vorsicht, um Anhänger zu gewinnen, geht er diesen um den Bart. Und nochmal Vorsicht. Bevor du deinen Feldzug gegen den Narzissten beginnst, musst Du dir sicher sein, dass er wirklich einer ist und Du nicht nur missgünstig. Frag dDch also, was deine eigenen Motive sind.

Alle zwischenmenschlichen Fähigkeiten wirst Du benötigen um dieses komplizierte Beziehungsgeflecht aufzudecken und dein Ziel zu erreichen. Vergiss auch bitte nicht, dass hinter dem großen Strahlemann eine unsichere, möglicherweise depressive Person stecken kann. Mach Dich also auf radikale Stimmungsumschwünge gefasst.

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche isst jemand viel zu viel.
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild, Foto: re)

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