„Nie wieder wegschauen!“

„Nie wieder wegschauen!“

Rosenheim – Der „Rosenheimer Weg“ geht weiter. Statt auf Stolpersteine auf öffentlichem Grund setzt die Stadt auf personalisierte Erinnerungsschleifen, um an die Opfer des NS-Terrors zu erinnern (wir berichteten). Außerdem wurde nun am heutigen Dienstagnachmittag eine Erinnerungstafel im Torbogen des Mittertors angebracht.

Die Erinnerungstafel an den NS-Terror im Torbogen des Mittertors in Rosenheim

Die Erinnerungstafel wurde im Torbogen des Mittertors angebracht. Fotos: Karin Wunsam

Bei der Vorstellung der Erinnungstafel

Neben Vertretern der Presse kamen zur heutigen Vorstellung der Erinnerungstafel auch Mitglieder des Fördervereins Städtisches Museum und des Rosenheimer Stadtrats.

Ab 1933 beherrschten die Nationalsozialisten auch in Rosenheim alle Bereiche des täglichen Lebens. Politische Gegner, Juden, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und Sinti und Roma wurden in Konzentrationslagern gedemütigt, gequält und ermordet. Jegliche Kritik am Regime war verboten, wurde verfolgt und bestraft. Und auch in Rosenheim haben zu viele Menschen dieses Unrechtsystem unterstützt oder einfach weggeschaut.
Dass dieses dunkle Kapitel der Geschichte auch in Rosenheim nicht in Vergessenheit geraten darf, darüber herrschte immer schon große Einigkeit. Aber über das Wie wurde lange Jahre kontrovers diskutiert.
Schließlich entschied man sich gegen die weit verbreiteten Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig und stattdessen für die sogenannte Erinnerungsschleifen der Künstlerin Christiane Huber. Die erste wurde im November vergangenen Jahres an der Mädchenrealschule an einem Baum im Eingangsbereich angebracht, um an Elisabeth-Block zu erinnern, die dort zur Schule gegangenen ist und eines der Opfer der Nationalsozialisten wurde.

Die Kosten für die Erinnerungstafel
trägt der Förderverein des Städtischen Museum Rosenheim

Dem Förderverein des Städtischen Museum Rosenheim war es wichtig, dass auch am Städtischen Museum an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird. Ihre Idee war die Anbringung einer Erinnerungstafel. Die Mitglieder der Schul-, Kultur- und Sportausschusses stimmten dann im vergangenen November einstimmig für diese aufklärend-historische Informationstafel in der Rosenheimer Innenstadt.
Von Michael Keneder, Dezernent für Jugend, Soziales, Schule und Kultur, kam der Vorschlag, die Tafel im Torbogen des Mittertors anzubringen.
So geschah es nun auch.
Der Text auf der Tafel stammt von dem Historiker Walter Leicht, Leiter des Städtischen Museum Rosenheim. Der Titel lautet: „Nie wieder wegschauen“.
„Der Text ist als Mahnung zu verstehen“, sagte Gabriele Leicht, Dritte Rosenheimer Bürgermeisterin am heutigen späten Nachmittag bei der Vorstellung, an der neben Vertretern der Presse auch Mitglieder des Fördervereins und des Stadtrats teilnahmen. Die Gedenktafel sei im Zusammenklang mit der städtischen Erinnerungskultur zu sehen und ergänze ein persönlich würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
(Quelle: Artikel Karin Wunsam / Beitragsbild, Fotos: Karin Wunsam)

Hier der Wortlaut der Erinnerungstafel:

„Ab 1933 beherrschten die Nationalsozialisten auch in Rosenheim alle Bereiche des täglichen Lebens. 
Vordergründig ging es zunächst vielen Menschen besser.
Aber um welchen Preis?
Politische Gegner, Juden, Homosexuelle, Behinderte, Asoziale, Sinti und Roma wurden in Konzentrationslagern gedemütigt, gequält, ermordet. Vereine und Gewerkschaften wurden aufgelöst oder gleichgeschaltet. Religiöse Praktiken und Äußerungen mussten linientreu sein oder wurden eingeschränkt.
Wer anders dachte, anders fühlte oder anders leben wollte, wurde stigmatisiert. Jegliche Kritik am Regime war verboten, wurde unterdrückt, verfolgt und bestraft. Wer sich nicht anpassen wollte, erlitt berufliche Nachteile.
Am schlimmsten traf es die Rosenheimer Juden. Sie wurden ausgegrenzt, geächtet und entrechtet. Ihre Geschäfte wurden boykottiert und „arisiert“, ihre wirtschaftliche Existenz zerstört. Wer Glück hatte, konnte emigrieren oder mittellos fliehen.
Einige Schicksale von Rosenheimer Juden sind ungeklärt. Es gibt aber auch traurige Gewissheit: Moses, Taube und Klara Fichtmann, Max Fischer, Rosalie und Adele Obernbreit sowie Fritz und Mirjam Block mit ihren Kindern Elisabeth, Arno und Gertrud wurden aus unserer Stadt deportiert und in Vernichtungslager ermordet.
Auch in Rosenheim funktionierte das System des Unrechts, nicht nur auf Grund von Befehl und Gehorsam, von Behörden und Beamten.
Auch in Rosenheim haben zu viele Menschen mitgemacht, haben boykottiert und denunziert. Und viel zu Viele haben einfach weggeschaut.
Wir dürfen nie wieder wegschauen!“

Die Erinnerungstafel im Mittertor in Rosenheim
Erinnerungstafel für Städtisches Museum

Erinnerungstafel für Städtisches Museum

Rosenheim – Stolpersteine wird es in Rosenheim auf öffentlichem Grund nicht geben. Stattdessen setzt man auf Stelen oder Tafeln an Hauswänden, um die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus wach zu halten. Der Förderverein des Städtischen Museums will nun auf eigene Kosten eine Erinnerungstafel an der Fassade des Museums anbringen. Wie weit die Planungen dafür sind, war Thema bei der Jahreshauptversammlung.

Aufgrund der Corona-Pandemie war es die erste Jahreshauptversammlung des Fördervereins nach drei Jahren. Zum ersten Mal fand sie nicht in den Räumlichkeiten des Museums statt, sondern in der Gaststätte Oberberger Langenpfunzen, um so den Besuchern mehr Abstand zueinander zu ermöglichen.

Durch Corona war aber nicht nur die Jahreshauptversammlung des Vereins in den vergangenen zwei Jahren ein Ding der Unmöglichkeit, auch andere geplante Veranstaltungen und Aktionen blieben auf der Strecke, wie beispielsweise die Feierlichkeiten plus Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Museums und des Fördervereins.
Auch die Erinnerungstafel ist keine neue Idee, sondern verzögert sich aufgrund der Pandemie. Museumsleiter Walter Leicht hat dafür bereits vor einigen Jahren einen Text aufgesetzt mit dem Titel „Nie wieder wegschauen!“:

„Ab 1933 beherrschten die Nationalsozialisten auch in Rosenheim alle Bereiche des täglichen Lebens. 
Vordergründig ging es zunächst vielen Menschen besser.
Aber um welchen Preis?
Politische Gegner, Juden, Homosexuelle, Behinderte, „Asoziale“, Sinti und Roma wurden in Konzentrationslagern gedemütigt, gequält, ermordet. Vereine und Gewerkschaften wurden aufgelöst oder gleichgeschaltet. Religiöse Praktiken und Äußerungen mussten linientreu sein oder wurden eingeschränkt.
Wer anders dachte, anders fühlte oder anders leben wollte, wurde stigmatisiert. Jegliche Kritik am Regime war verboten, wurde unterdrückt, verfolgt und bestraft. Wer sich nicht anpassen wollte, erlitt berufliche Nachteile.
Am schlimmsten traf es die Rosenheimer Juden. Sie wurden ausgegrenzt, geächtet und entrechtet. Ihre Geschäfte wurden boykottiert und „arisiert“, ihre wirtschaftliche Existenz zerstört. Wer Glück hatte, konnte emigrieren oder mittellos fliehen.
Einige Schicksale von Rosenheimer Juden sind ungeklärt. Es gibt aber auch traurige Gewissheit: Moses, Taube und Klara Fichtmann, Max Fischer, Rosalie und Adele Obernbreit sowie Fritz und Mirjam Block mit ihren Kindern Elisabeth, Arno und Gertrud wurden aus unserer Stadt deportiert und in Vernichtungslager ermordet.
Auch in Rosenheim funktionierte das System des Unrechts, nicht nur auf Grund von Befehl und Gehorsam, von Behörden und Beamten.
Auch in Rosenheim haben zu viele Menschen mitgemacht, haben boykottiert und denunziert. Und viel zu Viele haben einfach weggeschaut.
Wir dürfen nie wieder wegschauen!“

„Wir wollen, dass auch an dem Städtischen Museum an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird“, betonte Franz Weiland, Vorsitzender des Fördervereins. Aber auch wenn der Verein die Erinnerungstafel selbst finanziert, muss vor der Anbringung der Rosenheimer Stadtrat diesem Vorhaben zustimmen. Baldmöglichst soll jetzt aber dafür alles in die Wege geleitet werden.
Geplant ist außerdem, eine Sonderausstellung zum 100. Geburtstag von Elisabeth Bock Anfang des kommenden Jahres. Das jüdische Mädchen wurde in Niedernburg bei Rosenheim geboren und ist eines der Opfers des NS-Terrors.
In welcher Form die Sonderausstellung stattfinden soll, steht aktuell aber noch nicht fest. Für eine große Ausstellung würde es an Exponaten mangeln, gab Walter Leicht zu bedenken. Er könnte sich eher vorstellen, das Schaufenster mit einigen ausgewählten Exponaten Elisabeth Block zu widmen.
Derzeit ist im Städtischen Museum Rosenheim die Sonderausstellung „Ro-lympisch `72“ zu sehen. Sie erinnert noch bis zum 6. November an die Olympischen Spiele in München im Jahr 1972 und richtet den Fokus dabei auf Rosenheim.
Der Titel für die nächste Sonderausstellung steht auch schon fest: „Sammelsurium“. Sie ist für Anfang Februar 2023 bis Ende April 2023 geplant und soll den Besuchern nahebringen, was eigentlich die Aufgaben des Städtischen Museums Rosenheim sind.
Für Walter Leicht endet damit seine Ära als Museumsleiter. Er geht im kommenden Jahr in den wohlverdienten Ruhestand. Sein Nachfolger steht bereits fest. Dr. Christoph Kast wird diese Aufgabe neben seinem Dienst als Leiter des Stadtarchiv Rosenheim und Stadtheimatpfleger übernehmen.
Zum Abschluss der Jahreshauptversammlung standen Neuwahlen auf dem Programm. An der Spitze ändert sich nichts. Franz Weiland bleibt der Vorsitzende. Zweite Vorsitzende ist weiterhin Sieglinde Wunsam und Schriftführerin Sieglinde Theiler.
Aus ihrem Amt verabschiedet hat sich  Schatzmeisterin Brigitte Schütz.  Peter Kirmair tritt die Nachfolge an.
(Quelle: Artikel Karin Wunsam / Foto: Wunsam)