Gedenken an Opfer des NS-Terrors

Gedenken an Opfer des NS-Terrors

Rosenheim – Der „Rosenheimer Weg“ ist beschritten: Um den Opfern des NS-Terrors zu gedenken, setzt die Stadt auf personalisierte Erinnerungsschleifen. Die erste wurde heute bei der Städtischen Realschule für Mädchen enthüllt und zudem dort auch der Elisabeth-Block-Platz eingeweiht.

Die Erinnerungsschleife in Rosenheim in einem Baum

So sieht sie aus – die erste Erinnerungsschleife in Rosenheim. Fotos: Karin Wunsam

Der Termin wurde in mehrfacherer Hinsicht bewusst an diesem Schulvormittag gewählt: Zum einen sollte die gesamte Schulfamilie der Städtischen Realschule für Mädchen an dieser Veranstaltung teilnehmen und sich partizipieren können, zum anderen jährt sich am heutigen Mittwoch, 9. November, der Schrecken der Reichsprogromnacht.
Dass die Erinnerung an dieses dunkle Kapitel der Geschichte auch in Rosenheim niemals in Vergessenheit geraten darf, darüber war man sich im Stadtrat immer schon einig. Aber über das „Wie“ wurde viele Jahre diskutiert – vor allem über die weit verbreiteten Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig. Schließlich hat sich der Stadtrat im September dieses Jahres dazu entschieden einen eigenen Weg, den „Rosenheimer Weg“ zu gehen. Anstelle von Stolpersteinen fiel die Wahl auf die sogenannten „Erinnerungsschleifen“ der Künstlerin Christiane Huber: Möbiusschleifen aus Messing, die in Bäumen oder Hausfassaden angebracht werden und auf denen die Namen der Rosenheimer eingraviert sind, die während der NS-Zeit ermordet wurden.
Der wohl bekannteste Name in der Stadt ist Elisabeth Block. Das jüdische Mädchen lebte mit ihrer Familie in Prutting  und besuchte die Städtische Realschule für Mädchen in Rosenheim. Seit ihrem zehnten Lebensjahr im Jahr 1933 bis zum 8. März 1942 schrieb sie ein Tagebuch, das den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit überstand. Es endet abrupt, denn auch sie wurde ermordet.
An ihr Schicksal erinnerte Daniel Artmann, Dritter Bürgermeister von Rosenheim, in seiner Rede. Die Enthüllung der Erinnerungsschleife mit den Namen von Elisabeth Block und der Einweihung des Elisabeth-Block-Platzes sei ein bedeutender Moment für die Stadt.

Das neue Straßenschild Elisabeth-Block-Platz in Rosenheim

Nun hat Rosenheim einen Elisabeth-Block-Platz.

„Es gibt Tage, da findet Geschichte vor der eigenen Tür oder Schultüre statt. Wir können stolz darauf sein, so einen Tag jetzt zu erleben“, sagte Schulleiterin Magdalena Singer. Sie erzähle, dass alle Klassen an diesem besonderen Tag die vierte Schulstunde Elisabeth Block gewidmet haben. Die Erinnerungsschleifen sieht sie als „sehr gute „Lösung“.
Die Rosenheimer Mädchenrealschule setzt sich schon seit vielen Jahren gegen Diskriminierung jeglicher Art und für die Schaffung einer Atmosphäre von Freiheitlichkeit, Toleranz und Integration ein. Dafür wurde ihr vor einiger Zeit die Plakette „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verliehen. Die Patenschaft dafür Dr. Thomas Nowotny übernommen, der sich schon lange für eine Erinnerungskultur in Rosenheim stark gemacht hat. Bei der Feierstunde war er sichtlich bewegt, besonders als Schüler dann selbst bemalte Erinnerungssteine zu Füßen des Baumes ablegten, an denen die erste Erinnerungsschleife in Rosenheim installiert wurde.
(Quelle: Artikel: Karin Wunsam / Beitragsbild, Fotos: Karin Wunsam)

Weitere Impressionen der Feierstunde:

Blick in die Reihen der Ehrengaeste bei der Feierstunde in Rosenheim
Blick in die Reihen der Gäste.
Die Schulleiterin bei ihrer Rede
Schülerinnen bei ihrer Rede
Blick vom Publikum zum Rednerpult
Die Schüler erinnern Erinnerungssteine nieder
Die Erinnerungssteine
Kinder legen Erinnerungssteine nieder
Dr. Thomas Nowotny  legt Rosen nieder
Dr. Thomas Nowotny legt einen Erinnerungsstein auf die Erinnerungsschleife
Das neue Straßenschild wird enthüllt
Ehrengäste beim Baum mit der Erinnerungsschleife, darunter die Schulleiterin, zweite von links und die Künstlerin dritte von links
Erinnerungstafel für Städtisches Museum

Erinnerungstafel für Städtisches Museum

Rosenheim – Stolpersteine wird es in Rosenheim auf öffentlichem Grund nicht geben. Stattdessen setzt man auf Stelen oder Tafeln an Hauswänden, um die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus wach zu halten. Der Förderverein des Städtischen Museums will nun auf eigene Kosten eine Erinnerungstafel an der Fassade des Museums anbringen. Wie weit die Planungen dafür sind, war Thema bei der Jahreshauptversammlung.

Aufgrund der Corona-Pandemie war es die erste Jahreshauptversammlung des Fördervereins nach drei Jahren. Zum ersten Mal fand sie nicht in den Räumlichkeiten des Museums statt, sondern in der Gaststätte Oberberger Langenpfunzen, um so den Besuchern mehr Abstand zueinander zu ermöglichen.

Durch Corona war aber nicht nur die Jahreshauptversammlung des Vereins in den vergangenen zwei Jahren ein Ding der Unmöglichkeit, auch andere geplante Veranstaltungen und Aktionen blieben auf der Strecke, wie beispielsweise die Feierlichkeiten plus Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum des Museums und des Fördervereins.
Auch die Erinnerungstafel ist keine neue Idee, sondern verzögert sich aufgrund der Pandemie. Museumsleiter Walter Leicht hat dafür bereits vor einigen Jahren einen Text aufgesetzt mit dem Titel „Nie wieder wegschauen!“:

„Ab 1933 beherrschten die Nationalsozialisten auch in Rosenheim alle Bereiche des täglichen Lebens. 
Vordergründig ging es zunächst vielen Menschen besser.
Aber um welchen Preis?
Politische Gegner, Juden, Homosexuelle, Behinderte, „Asoziale“, Sinti und Roma wurden in Konzentrationslagern gedemütigt, gequält, ermordet. Vereine und Gewerkschaften wurden aufgelöst oder gleichgeschaltet. Religiöse Praktiken und Äußerungen mussten linientreu sein oder wurden eingeschränkt.
Wer anders dachte, anders fühlte oder anders leben wollte, wurde stigmatisiert. Jegliche Kritik am Regime war verboten, wurde unterdrückt, verfolgt und bestraft. Wer sich nicht anpassen wollte, erlitt berufliche Nachteile.
Am schlimmsten traf es die Rosenheimer Juden. Sie wurden ausgegrenzt, geächtet und entrechtet. Ihre Geschäfte wurden boykottiert und „arisiert“, ihre wirtschaftliche Existenz zerstört. Wer Glück hatte, konnte emigrieren oder mittellos fliehen.
Einige Schicksale von Rosenheimer Juden sind ungeklärt. Es gibt aber auch traurige Gewissheit: Moses, Taube und Klara Fichtmann, Max Fischer, Rosalie und Adele Obernbreit sowie Fritz und Mirjam Block mit ihren Kindern Elisabeth, Arno und Gertrud wurden aus unserer Stadt deportiert und in Vernichtungslager ermordet.
Auch in Rosenheim funktionierte das System des Unrechts, nicht nur auf Grund von Befehl und Gehorsam, von Behörden und Beamten.
Auch in Rosenheim haben zu viele Menschen mitgemacht, haben boykottiert und denunziert. Und viel zu Viele haben einfach weggeschaut.
Wir dürfen nie wieder wegschauen!“

„Wir wollen, dass auch an dem Städtischen Museum an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird“, betonte Franz Weiland, Vorsitzender des Fördervereins. Aber auch wenn der Verein die Erinnerungstafel selbst finanziert, muss vor der Anbringung der Rosenheimer Stadtrat diesem Vorhaben zustimmen. Baldmöglichst soll jetzt aber dafür alles in die Wege geleitet werden.
Geplant ist außerdem, eine Sonderausstellung zum 100. Geburtstag von Elisabeth Bock Anfang des kommenden Jahres. Das jüdische Mädchen wurde in Niedernburg bei Rosenheim geboren und ist eines der Opfers des NS-Terrors.
In welcher Form die Sonderausstellung stattfinden soll, steht aktuell aber noch nicht fest. Für eine große Ausstellung würde es an Exponaten mangeln, gab Walter Leicht zu bedenken. Er könnte sich eher vorstellen, das Schaufenster mit einigen ausgewählten Exponaten Elisabeth Block zu widmen.
Derzeit ist im Städtischen Museum Rosenheim die Sonderausstellung „Ro-lympisch `72“ zu sehen. Sie erinnert noch bis zum 6. November an die Olympischen Spiele in München im Jahr 1972 und richtet den Fokus dabei auf Rosenheim.
Der Titel für die nächste Sonderausstellung steht auch schon fest: „Sammelsurium“. Sie ist für Anfang Februar 2023 bis Ende April 2023 geplant und soll den Besuchern nahebringen, was eigentlich die Aufgaben des Städtischen Museums Rosenheim sind.
Für Walter Leicht endet damit seine Ära als Museumsleiter. Er geht im kommenden Jahr in den wohlverdienten Ruhestand. Sein Nachfolger steht bereits fest. Dr. Christoph Kast wird diese Aufgabe neben seinem Dienst als Leiter des Stadtarchiv Rosenheim und Stadtheimatpfleger übernehmen.
Zum Abschluss der Jahreshauptversammlung standen Neuwahlen auf dem Programm. An der Spitze ändert sich nichts. Franz Weiland bleibt der Vorsitzende. Zweite Vorsitzende ist weiterhin Sieglinde Wunsam und Schriftführerin Sieglinde Theiler.
Aus ihrem Amt verabschiedet hat sich  Schatzmeisterin Brigitte Schütz.  Peter Kirmair tritt die Nachfolge an.
(Quelle: Artikel Karin Wunsam / Foto: Wunsam)