Borderline: Wechselbad der Gefühle

Borderline: Wechselbad der Gefühle

Rosenheim – Regelmäßig schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal heißt das Thema „Borderline – Wechselbad der Gefühle“.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
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Smiley-Kugeln mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken

Borderline – Wechselbad der Gefühle

„Kann sie nicht einmal normal sein?“ hast du gefragt „Immer ist sie entweder total aufgedreht oder total niedergeschlagen“. Mal ganz normal das Leben leben ohne viel Trara und Drama, das wünschst du dir von ihr. Immerzu dieses Wechselbad der Gefühle: himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt.
Ab und zu merkt sie, wie anstrengend sie für dich ist und schämt sich. Ein anderes mal fordert sie ultimativ einen Liebesbeweis und beschwört dich, sie nicht zu verlassen. Sie könne nicht alleine leben. Mitunter droht sie auch, sich etwas anzutun. Die Narben auf ihren Armen sind dir auch schon aufgefallen. Gottseidank sind es keine frischen.

Ganz am Anfang hat sie dir sogar gesagt, dass sie eine Borderline-Störung hat und dich auf das ständige auf und ab vorbereitet. Sie hat dich sogar vor einer Beziehung mit ihr gewarnt. Aber es war doch immer wieder recht schön, und dann …
Neulich hat sie von ihrer Jugend erzählt. Zu den Eltern hatte sie ein ganz schwieriges Verhältnis. Meistens war sie ihnen egal. Oft haben sie ihr nicht geglaubt, was sie ihnen erzählt hat. „Schwindelst du wieder?“ hieß es dann. Es gab eigentlich niemanden dem sie sich anvertrauen konnte. Und immer wieder waren beide Eltern ohne Vorankündigung weg: arbeiten, feiern, einfach weg. Sie war alleine und es war ihnen egal. Eigentlich hat sie sich nicht wirklich geborgen oder beschützt gefühlt.

Vieles in deiner Erzählung ist ganz typisch für eine Borderline-Störung. Das ewige auf und ab, das jäh emotionale, die Schwierigkeiten in der Jugend. Bitte sei nicht überrascht, wenn sie eines Tages andeutet, dass es auch Missbrauch durch die Eltern gab. Missbrauch muss nicht nur in sexueller Übergriffigkeit bestehen. Man kann darunter auch Vernachlässigung meinen, welche bei deiner Freundin ziemlich sicher vorlag.

Bindung ist für Borderliner schwierig

Daraus ließe sich erklären, dass sie manchmal Nähe als problematisch empfindet. Für gewöhnlich wird Nähe als Geborgenheit positiv erlebt. Andererseits folgte in Kindheit und Jugend darauf jäh und unerwartet Missbrauch oder Abwesenheit der Eltern. Bindung ist für Borderliner schwierig, weil sie befürchten, dass sie ohne Vorankündigung in Missbrauch oder Vernachlässigung umschlagen kann.
Mitunter ist es für sie schwierig, das Aussehen sogar von Nahestehenden im Gedächtnis zu behalten. Als du vor kurzem mit den Jungs zu einem Auswärtsspiel warst, hat sie dich bei der Heimkehr gar nicht wiedererkannt. Du hattest nicht den Eindruck, dass das gespielt war, um dich spüren zu lassen, dass du einen Fehler gemacht hast. Dann kam ihre Erinnerung wieder und es wurde eine sehr heftige Wiedersehensfreude – mit allem.
Das ist ganz typisch für Borderliner. Bilder von Menschen, die ihnen weh getan haben, kapselt ihr Unterbewusstsein ab, weil sie sie an ihren Schmerz erinnern würden. Als du fort warst, ist ihre Verlustangst wahrgeworden und sie hat das Bild von dir unbewusst isoliert.

Sie ist schon länger in Therapie. Was es denn da so gibt und wie die Aussichten sind, möchtest du wissen. Generell geht es darum, die traumatischen Erlebnisse in Kindheit oder Jugend durch neue positive Beziehungserfahrungen allmählich zu überlagern.
Borderliner übertragen ihre negativen Erfahrungen aus Kindheit oder Jugend auf andere Menschen in der Gegenwart. Diese werden genauso wahrgenommen, wie sie die eigenen Eltern erfahren haben: unzuverlässig, ihr keine Geborgenheit vermittelnd. Die Übertragungen auf die Gegenwart finden völlig unabhängig vom tatsächlichen Verhalten der anderen statt, das das ganze Gegenteil von dem sein kann, was auf sie übertragen wird. Zunächst soll also erlernt werden, eigene und fremde Emotionen realistisch wahrzunehmen. Das kann man üben.

Die Kunst liegt dabei darin, nicht nur neue, positive Erfahrungen künstlich zu simulieren, d.h. zu spielen. Wichtiger noch ist, die Wahrnehmung der Klienten für das Positive in einer beliebigen Alltagsbegegnung zu schärfen, die sie anfangs möglicherweise noch als problematisch wahrgenommen hat.
Bei einer weiteren Methode werden die Konflikte zwischen Eltern und Klient nachgespielt. Der Therapeut nimmt die Rolle der Eltern ein und der Klient spielt sich selbst. In dieser Simulation werden die Konflikte aufgearbeitet und gelöst.

Natürlich müssen selbst verletzende Tendenzen (Ritzen oder Suizid) als erstes bearbeitet werden. Ebenfalls alle weiteren Erkrankungen, die gleichzeitig mit Borderline auftreten: Depressionen, Phobien, Zwänge. Es gibt nichts, was es nicht in Kombination mit Borderline gäbe.

Die Therapie bei Borderline selbst dauert recht lange. Wie alle Persönlichkeitsstörungen, da sie üblicherweise schon in Kindheit und Jugend entstehen und sich daher tief eingeprägt haben. Insgesamt ist die Prognose sehr gut. Als hilfreich erweist sich, dass Borderliner oft eine Krankheitseinsicht haben und damit für eine Therapie zugänglich sind. Anders als etwa Narzissten. Zwei drittel bis drei viertel der Klienten können nach der Therapie als beschwerdefrei gelten.

Was heißt das nun für dich und deine Freundin? Zunächst ist es einmal als sehr gut zu bewerten, dass dich deine Freundin schon früh über ihre Borderline-Erkrankung aufgeklärt hat, obwohl sie sich eigentlich dafür schämte. Sie ist ja auch schon in Therapie.

Grundsätzlich sind mit Borderlinern genauso langjährige Beziehungen möglich wie zwischen „Normalos“. Sie sind zumeist wesentlich emotionaler, aber ansonsten völlig normal.

Nun willst du natürlich wissen, wie lange du denn deine Bedürfnisse zurückstellen sollst, während die Freundin in Therapie ist. Genau das ist natürlich das Problem. Wenn du das nicht willst oder kannst, musst du genau wie in allen anderen Beziehungen die Reißleine ziehen und dich trennen. Sei nicht überrascht, wenn die Trennung heftiger abläuft, als du erwartet hast.

Wenn ihr es dennoch miteinander versuchen möchtet, wäre es natürlich als erstes hilfreich, ihre emotionalen Tiefs abzufedern. Dafür wäre es gut zu wissen, was Auslöser für ihre Abstürze sind. Diese lassen sich zwar im Nachhinein jeweils identifizieren. Müssen aber beim nächsten mal nicht die gleichen sein. Lassen sich also nicht vorhersehen. Wenn die Auslöser die gleichen wären, könnte man sich besser drauf einstellen indem man sie vermeidet. So bleiben euch beiden in diesem Punkt wohl nur „Nehmerqualitäten“.

Für Borderliner ist Ehrlichkeit sehr wichtig

Für Borderliner ist Ehrlichkeit ganz wichtig. Erinnere dich bitte, dass ihre eigene Ehrlichkeit von den Eltern bezweifelt wurde. Die Eltern selbst wiederum waren zu ihr nicht aufrichtig, wenn sie ohne Vorankündigung weg waren. Unehrlichkeit befeuert ihre Verlustängste und sie verlangt Treuebeweise oder droht möglicherweise mit Selbstschädigung.
Als Partner brauchst du ein ganz starkes Ego, um dich von ihren Stimmungshochs und -tiefs nicht an die Wand drücken zu lassen. Schreckhaft solltest du auch nicht sein, wenn sie mal wieder die hohe Brücke in eurer Nähe erwähnt. Ich vertraue darauf, dass du weißt, wann es ernst gemeint ist und du Hilfe holen musst.
Aber sieh es doch auch mal so: Eine emotionale Beziehung kann wunderschön sein. Hast du’s gemerkt? Ich habe gerade eine der Borderline-Therapien bei dir selbst angewendet: das schöne in etwas zu sehen, das zunächst einmal schlecht aussah. Und ich hab’s ernst gemeint!

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche geht es um die Gruppendynamik,
Alexander Wurthmann M. A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild, Foto: re)

Morgen, ganz bestimmt…

Morgen, ganz bestimmt…

Rosenheim – Regelmäßig schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal heißt das Thema „Morgen, ganz bestimmt“.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
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Schnecke streckt sich nach neuem Ast

Was tun, wenn die neue Aufgabe viel zu weit weg erscheint, um man sie darum lieber gleich sein lässt?

Morgen, ganz bestimmt….

hat sie gesagt. Und dann hat sie es doch wieder nicht hinbekommen. Aber morgen macht sie es, ganz bestimmt. Für diese Aufschieberei hat sie nun schon ihren Ruf bekommen. Manche nennen sie auch schon die „Manjana-Frau“. Manjana heisst „morgen“ auf Spanisch. Nicht nett. Ihre Reaktionen, wenn man sie so nennt, reichen von Verlegenheit bis Trotz oder Ärger. Manchmal geht sie auch einfach nur weg.
Sehr wahrscheinlich ist es ihr sogar selber peinlich. Spätestens dann, wenn so etwas aufkommt. Schimpfen wäre im ersten Moment verständlich, bewirkt aber wenig. Im Gegenteil: Dadurch treibst du sie möglicherweise nur in die Enge. Das wäre doch schade. Ändern tut sich dadurch sowieso wenig bis nichts oder nur für kurze Zeit.
„Ich weiß ja auch nicht, warum, aber manchmal dauert es eben etwas länger bei mir, oder ich vergesse es“, sagt sie und dass es bestimmt kein böser Wille sei. Die Freunde, die sie noch hat, verzweifeln auch immer wieder. Was soll man nur machen?
Wenn sie ansonsten freundlich ist, wäre es natürlich Unfug, sie zu boykottieren oder aus dem Freundeskreis heraus zu drängen. Man muss sich natürlich drauf einstellen, dass Verabredungen mit ihr nicht immer klappen. Ob zusammen ausgehen, oder den Brief mit zur Post nehmen. Aber sie ist ja wirklich freundlich und sehr lustig.

Für ständiges Aufschieben gibt es so einige Hinweise

Man nennt das auch „prokrastinieren“. Im Englischen heißt das procrastinate. Könnte man mit „aufschieben“ übersetzen. Dafür gibt es auch ein paar äußere Anzeichen. Am PC-Monitor schränken Haftnotizen den Blick auf den Bildschirm massiv ein. Das schwarze Brett in der Küche ist flächendeckend mit Zetteln bestückt. Ähnliche Erscheinungen gibt es an der Kühlschranktür.
In Büros finden sich auch schöne Beispiele für das Aufschieben. Papierberge auf Schreibtischen wechseln sich mit überquellenden Ablagen ab. Entlegene Stapel in Regalen bilden Zwischenlager. Andere Schreibtische sind dagegen mustergültig aufgeräumt und nahezu leer. Wenn aber eine der Schiebeschranktüren in der näheren Umgebung geöffnet wird, zeigt sich unvermittelt die versteckte Deponie für nicht bearbeitete Aufgaben. Ich bin sicher, du kennst noch weitere Beispiele.

Es kann sein, dass das nicht nur störende aber letztlich doch harmlose Angewohnheiten sind. Dem können aber auch wirkliche Stoffwechselstörungen im Hirn zugrunde liegen, die in diesem Fall Antriebsstörungen auslösen würden.

Wie unterscheiden sich Antriebsstörungen von Energiemangel

Was sind Antriebsstörungen und wie unterscheiden sie sich von Energiemangel? Das ist gar nicht einfach zu verstehen. Antrieb und Energie sind sehr ähnlich. Nehmen wir zur Erklärung einen Vergleich mit einem Verbrennungsmotor. Wenn der Tank voll ist und genug Treibstoff zum Motor gelangt, hat der Motor genug Energie. Aber laufen tut er deswegen trotzdem nicht. Was fehlt, ist ein Zündfunke, der die Verbrennung in Gang setzt. Der Zündfunke ist der Antrieb, der nötig ist, damit der Motor läuft und die ganze vorhandene Energie in Aktivität umgesetzt werden kann. (Die Informierten haben es natürlich schon längst erkannt: Wir reden hier natürlich nicht vom Dieselmotor.)

Die Antriebsschwäche der Freundin könnte ergänzendes Anzeichen einer umfangreicheren Störung sein. Ist sie oft niedergeschlagen, hat sie keine rechte Freude, wie schaut es mit dem Schlaf aus und dem Appetit? All das könnte auf eine Depression hindeuten. Und auf weitere Störungen. Das sollte man aber nicht selber einschätzen. Vielleicht kannst du deine Freundin ja dazu bewegen, sich einmal gründlich beraten zu lassen. Möglicherweise ist ja die Einnahme von Psychopharmaka erforderlich.

Nach deiner Schilderung hat sie aber keine weiteren Auffälligkeiten. Du könntest ihr also deine Hilfe anbieten, wie sie da wieder herauskommt. Was könnte man also tun? Eher abzuraten ist von großen Versuchen, das Chaos zu ordnen. Nach Dringlichkeit, welches Problem ist das älteste, was kam danach, oder nach Themen. Das überfordert in den meisten Fällen.

Vermeidungsstrategie aus Angst vor dem Scheitern

Früher habe ich bei meinen Klienten immer nach dem größten Problem gesucht und dann versucht, darin einen ersten Fortschritt zu erzielen. Natürlich in der Hoffnung, wenn erst einmal das große Problem gelöst ist, sich im Anschluss die anderen, kleineren Probleme ganz schnell lösen lassen. Das führt allerdings meistens nicht sehr weit. Antriebsschwäche entsteht auch deshalb, weil Erfolgserlebnisse ausbleiben. Man hat sich ganz lange sehr viel Mühe gegeben und dann klappt es doch nicht. Dinge nicht anzugehen, ist also auch eine Vermeidungsstrategie. Man vermeidet frustrierende Erlebnisse bei Misserfolgen. Bei großen Problemen ist die Gefahr zu scheitern und damit die Frustrationsgefahr wesentlich größer als bei kleinen.

Ich würde inzwischen eher zum umgekehrten Weg raten. Man sucht nach dem kleinsten bzw. am leichtesten und schnellsten zu lösenden Problem und geht dieses an. Wenn du der Freundin hilfst, solltest du nicht drängen und drücken. Insbesondere solltest du nicht derjenige sein, der die zu lösende Aufgabe auswählt. Frag sie eher mal, was sie selbst denn machen möchte.

Lass dich auch ruhig auf ganz kleine Vorhaben ein. Bekannt ist der Tipp, Dinge, die man in zwei Minuten erledigen kann, als erstes anzugehen. Mir sind Personen bekannt, die mit Projekten von 30 Sekunden begonnen haben. Sch….egal! Hauptsache erst mal anfangen. Der Weg ist das Ziel. Mit dem ersten kleinen Erfolg kehrt der Mut zurück und man kann die nächsten Probleme angehen. Und vorher darf man den ersten Erfolg auch einmal feiern. Die Freundin hat mit dem ersten kurzen Projekt vielleicht einen Erfolg erzielt, den sie in dieser Form länger nicht mehr hatte. Sie hat eine Angelegenheit, die sie eigentlich ignorieren wollte, erfolgreich erledigt.

Lass sie das ruhig geniessen. Und feiere mit ihr. Verbleibe aber – wenn das geht – nicht nur im reinen Feiermodus, sondern stell den Bezug zum soeben gelösten Problem her. So kann man versuchen, das Gehirn anders zu programmieren. Dass es mit Problemlösung nicht nur Frust verbindet, sondern auch Freude und Stolz. Und mit Freude nicht nur die reine Ausgelassenheit, sondern auch die Zufriedenheit, etwas erreicht zu haben.
Überlass ihr die Initiative, ob sie gleich weiter machen möchte. Das muss nicht unbedingt sein. Auf keinen Fall überfordern. Das hat sie vermutlich mit sich selbst schon länger getan.

Es gibt sogar eine eigenständige Therapierichtung, die auf diese Weise arbeitet: die lösungsorientierte Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg.
Und denk dran: die Lösung liegt bei der Freundin! Nur sie kann ihre Lage verbessern. Du kannst ihr allenfalls helfen. Das solltest du aber auch versuchen!

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche ist jemand mal nett und mal nicht. 
Alexander Wurthmann M. A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild, Foto: re)

 

Fremdgesteuert

Fremdgesteuert

Rosenheim – Regelmäßig schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal heißt das Thema „Fremdgesteuert“.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
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Holzpuppe an Fäden

„Das war ich jetzt nicht selbst“, hat sie gesagt. Zuvor hat sie berichtet, dass sie sich nachts im Bett immer hin und her wälzen muss. „Die haben das gemacht!“. Nanu, hast Du sie gefragt, wer soll das denn sein? Das konnte sie Dir auch nicht sagen. Aber es gibt welche, die alles über sie wissen, und darüber, was in ihrem Kopf vorgeht und bestimmen, was sie tun muss. Es macht gar keinen Sinn sich dagegen zu wehren.
Dazu gehört auch das Schreien. Ab und zu muss sie schreien. Irgendjemand macht, dass sie einfach schreien muss. Sie hat keinen Schmerz dann, aber sie muss einfach schreien. Die anderen Leute sind dann immer sehr erschreckt. Aber sie muss einfach schreien.

Das Gefühl, von außen gesteuert zu werden

Ob ihr das mal jemand gesagt hat, oder ob sie durch jemanden erschreckt wurde. Ja, da gibt es Leute, die ihr diese Gedanken eingeben. Wie, das weiß sie nicht. Aber die sind dann in ihrem Kopf. Sie fühlt sich wie eine Marionette, wie von außen gesteuert.
Es hat etwas Wahnhaftes. Viel reden kannst Du nicht mit ihr darüber. Wehe, du bezweifelst, dass es diese Stimmen gibt. Sie wendet sich dann ab. Es kann sogar zum Streit kommen. Du kannst mit ihr nicht mehr rational reden.

Woher so etwas kommen kann? Es kommt Dir manchmal etwas wahnhaft vor. Da ist etwas dran. Das Gefühl der Fremdsteuerung bezeichnet man auch als Ich-Störung. Dazu kommt es oft, wenn Menschen sich nicht im Einklang mit sich selbst oder mit Ihrer Umgebung empfinden. Das kommt in vielen Situationen vor. Nicht zuletzt nach Missbrauch von Alkohol oder Substanzen. Cannabis ist hier ganz notorisch. Es kann aber auch nach starker Erschöpfung auftreten. Vor allem denken wir hier aber an Schizophrenie.

Was solltest Du also tun? Zunächst einmal nicht mit ihr darüber diskutieren, ob es die Stimmen gibt, die ihr befehlen, zu schreien oder sich im Bett zu wälzen. Bei Wahn oder Halluzinationen, kann man nicht aufdeckend arbeiten. Ihre Wahrnehmungen sind tief verwurzelt und können sogar von Fehlfunktionen des Hirnstoffwechsels verursacht werden. Damit kann man schlecht argumentieren.
Wenn sie also wieder anfängt, versuche das Thema einfach zu übergehen. Gehe nicht drauf ein. Rede nicht dagegen, bedauere sie auch nicht. Frage auch nicht weiter nach. Warte, bis das unmittelbare Bedürfnis, über die Stimmen zu reden, abklingt und schneide dann ein völlig anderes Thema an. Das Wetter oder den Urlaub, meinetwegen.
Wie so oft ist das soziale Umfeld ein ganz wesentlicher Faktor für das Wohlbefinden. Was immer auch als nächstes gemacht werden sollte, sie sollte Kontakt zu anderen Menschen haben. Und diese Kontakte als hilfreich, angenehm und stützend erleben.

Wenn jemand grundsätzliche Probleme mit dem Erkennen der eigenen Umgebung hat oder Teile der eigenen Identität nicht mehr ganz kontrolliert, liegt hier möglicherweise eine schwerwiegende Störung vor. Alle nächsten Schritte sollten gründlich überlegt und beraten werden.

Auch Störungen des Hirnstoffwechsels können Ursache sein

Bei potentiellen Störungen des Hirnstoffwechsels kommen natürlich wieder Psychopharmaka ins Gespräch. Die Schlagstörungen und das Schreien müssen auch organisch abgeklärt werden.
Von besonderer Bedeutung ist die persönliche Umwelt eines hilfebedürftigen Menschen. Diese Gruppe rückt immer mehr ins Zentrum wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Es geht nicht mehr nur um ihre Funktion für die Gesundung Hilfsbedürftiger. Sie selbst müssen betrachtet werden.

Was macht es mit einer Familie oder den engen Freunden, wenn einer von ihnen derartige Probleme hat, dass möglicherweise eine Therapie angesagt ist. Zumal psychische Probleme oft als „irre“ oder „verrückt“ stigmatisiert werden. Natürlich hat ein Schnupfen geringere Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Erkrankten. Aber vielfach bestehen unbegründete oder sogar übertriebene Berührungsängste zu psychischen Störungen. Familie und Umkreis kann man den Umgang damit erleichtern, indem man diese zunächst einmal über die Erkrankung aufklärt. Und was diese für sie ganz persönlich bedeutet. Immer wieder dabei an erster Stelle: ein liebevoller, achtsamer Umgang mit den Hilfsbedürftigen.

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.
In der nächsten Woche macht es jemand morgen, ganz bestimmt!
Alexander Wurthmann M .A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild, Foto: re)

Wie entsteht eigentlich Narzissmus?

Wie entsteht eigentlich Narzissmus?

RosenheimRegelmäßig schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal geht es um Narzissmus.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
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Thron

Narzissten halten sich gerne einen „Hofstaat“.

Wie entsteht eigentlich Narzissmus?

Oha, da hat er aber wieder einen rausgehauen. Wie gut er ist und wie ihn alle bewundern. Wen er alles kennt und welchen Einfluss er hat. So viele Leute geben etwas auf seine Ratschläge. Also, nicht alle. Manche nicht. Aber die müssen das dann bitter büssen. Selbst schuld.
Aber irgendetwas passt nicht zusammen. Er freut sich, wenn Du ihn bewunderst. Aber er interessiert sich nicht persönlich für Dich und ist seltsam gefühlskalt. Er interessiert sich kaum für deine Bedürfnisse, deine Sorgen und Nöte. Über ein gewisses Niveau geht seine Hinwendung zu Dir nicht hinaus. Hauptsache, du bewunderst ihn. Er bittet „Anhänger“ auch gerne um einen Gefallen. Er hält das wohl für selbstverständlich und lobt denjenigen dann überschwänglich.

Narzisstische Kränkung

Wenn du kein Fanboy oder Fangirl bist, verliert er unmittelbar das Interesse an Dir. Manchmal, wenn er sich nicht beobachtet fühlt, nimmst du völlig unerwartet Zeichen der Unsicherheit an ihm wahr. Aber nur ganz kurz. Dann „glänzt“ er wieder.
Oder auch nicht. Dann kann er dermaßen aus der Haut fahren, dass man Angst um ihn haben muss. Oder aber depressive Züge treten zutage. Narzisstische Kränkung nennt man das dann. Ein regelgerechter Zusammenbruch mit Herzproblemen oder ähnlichem ist dann möglich. Sogar Suizid ist nicht ausgeschlossen.
Und da ist auch schon der Fachausdruck für diese Auffälligkeit gefallen: Narzissmus. Jeder kennt einen, keiner mag sie. Jeder glaubt, sie sicher identifizieren zu können. Dabei handelt es sich bei den vermeintlichen Narzissten oft um simple, platte Angeber. Die anderen Anzeichen für Narzissmus werden übersehen.

Als Kind zu wenig Zuneigung erfahren

Wie entsteht Narzissmus eigentlich? Schon in der frühen Psychoanalyse bei Freud spielte der Narzissmus eine wichtige Rolle. Man nimmt an, dass der Narzisst als Kind zu wenig Zuneigung erfahren hat. Dieses Defizit muss er nun ausgleichen, indem er nach Bewunderung sucht und sich als besonders grossartig darstellt.
Um Narzissmus zu begreifen, sollte man sich an die griechische Sage vom Jüngling Narziss erinnern. Er wies alle Verehrer zurück. Auf Bitten eines Verschmähten bestrafte ein Gott den Narziss mit unstillbarer Selbstliebe. Er verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild, worüber er letztendlich starb.

Das ist nun etwas extremer als die üblichen Angeber. Und trotzdem, ist Narzissmus denn so verwerflich? Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Narzisst? Muss man nicht sogar ein bisschen von sich überzeugt sein, um etwas im Leben zu erreichen? Und wo wird die Grenze vom Narzissten zum Charismatiker überschritten, der mitreißend reden und die Menschen begeistern kann?

Ja, wo wird denn der Narzisst zum Narzissten? Wann wird aus einer in bestimmter Weise ausgeprägte Persönlichkeit eine Persönlichkeitsstörung? Es beginnt natürlich bei der Großspurigkeit. Mit wem vergleicht sich denn der potentielle Narzisst? Ist Gott dabei, oder der Bundestrainer? Aber Vorsicht, es gibt wirklich unerkannte Weltmeister in wenig bekannten Disziplinen unter uns. Und ganz stille superkluge Mathegenies. Und vielleicht hat der schon wirklich eine Begegnung mit einem Bären überlebt.

Narzisst oder Super-Hero?

Wie kannst du nun den Narzissten vom Super-Hero unterscheiden. Frag den Verdachts-Narzissten doch einfach mal nach seinen Heldentaten. Echte Könner erzählen spannende Geschichten, die über mehr als drei Sätze hinaus gehen und auch Nachfragen aushalten. Wenn der Erzählfluss austrocknet oder sich der Erzählende abrupt einem anderen Thema zuwendet, ist er vielleicht ein Narzisst. Echte Cracks können oft gar nicht mehr aufhören zu erzählen.

Frag doch auch mal, ob er schon als Kind oder Jugendlicher so besonders war. Narzissmus gehört zu den Persönlichkeitsstörungen. Die beginnen meist im Kinder- und Jugendlichenalter. Wenn er das bejaht, dann lass ihn doch ein Beispiel seiner frühen Erfolge erzählen. Wie oben: Wenn da nicht viel kommt, ist vielleicht auch nicht viel dahinter.
Und dann schau einfach, ob er seine Zuwendung auf einzelne Personen gezielt und ausgewählt einsetzt. Ob er einen „Hofstaat“ unterhält und alle anderen für „unwürdig“ hält. Ob er sich in Wirklichkeit nur oberflächlich für andere interessiert.

Nun kommen wir zum Entscheidenden: Wie gehst du am besten mit einem solchen Menschen um, wenn du nicht sein Anhänger werden möchtest? Abgrenzung ist hier gefragt. Dafür werden viele Patentrezepte präsentiert. Wer behauptet, das schon erfolgreich praktiziert zu haben, hat sich möglicherweise nur wie ein A….loch verhalten und einen an sich harmlosen, lebensfrohen Menschen übelst vorgeführt oder sogar gemobbt.

Am Anfang also musst Du sicher sein, es überhaupt mit einem Narzissten zu tun zu haben. Wie schon öfters: Frag gute Freunde ganz im Vertrauen nach ihrer Einschätzung. Gaaaanz im tiefen Vertrauen und in aller Vorsicht, denn … du weißt schon.

Narzissten kam man nur schwer ändern

Zunächst einmal ist es äußerst schwierig, einen Narzissten zu ändern. Da die Auffälligkeit im Kinder- und Jugendlichenalter beginnt, ist sie sehr tief verwurzelt. Narzissten gehen auch kaum zu Beratern mit der Bitte um Hilfe. Meist haben sie ein anderes Problem. Wenn dieses erfolgreich angegangen wurde, hat sich manchmal genügend Vertrauen angesammelt, dass man mal ganz vorsichtig den Narzissmus ansprechen kann, ob er vielleicht Hilfe haben möchte. Wenn der Narzisst blockiert, sollte man nichts erzwingen wollen.

Wie könntest Du dich also verhalten? Das hängt nicht zuletzt von Dir ab und deiner psychischen Konstitution. Im Extremfall stehen Kämpfen oder Fliehen zur Wahl. Dulden geht auch – wenn du dir das erlauben kannst. Alle drei sind Schutzstrategien. Beim Dulden schottest Du dich einfach nach außen ab. Wenn Su so willst, ist das auch eine Flucht: die nach innen. Er wird Dich dann versuchen unmöglich zu machen und verächtlich über Dich reden. Wenn das innerhalb deiner Clique geschieht, wird er auch versuchen Dich von gemeinsamen Aktivitäten auszuschließen. Teilnehmen lässt er Dich nur um den Preis deiner Unterwerfung in Form von Bewunderung für ihn. Und dann musst du möglicherweise ganz tief gebückt daherkommen.

Am Arbeitsplatz oder im Verein hast Du aber manchmal keine Wahl. Das Problem erledigt sich nicht unbedingt von selbst. Wenn Du eine robuste Natur hast, kannst Du kämpfen. Das braucht unter Umständen einen langen Atem. Da der Narzisst auf Bewunderung angewiesen ist wie auf die Luft zum Atmen, wird er um die ihn bewundernde Struktur kämpfen. Genau die musst Du ihm allerdings nehmen bzw. ihn zwingen woanders danach zu suchen.

Du musst sehr souverän sein und auf alle Dominanzversuche seinerseits sofort reagieren. Eigentlich musst Du nur drauf warten. Und dann ist es oft ganz leicht. Da es ihm nicht um die anderen geht, sondern letztendlich nur um sich selbst, ist er in der Sache meist ziemlich blank. Das kannst Du leicht vor den anderen aufdecken. Aber Vorsicht, um Anhänger zu gewinnen, geht er diesen um den Bart. Und nochmal Vorsicht. Bevor du deinen Feldzug gegen den Narzissten beginnst, musst Du dir sicher sein, dass er wirklich einer ist und Du nicht nur missgünstig. Frag dDch also, was deine eigenen Motive sind.

Alle zwischenmenschlichen Fähigkeiten wirst Du benötigen um dieses komplizierte Beziehungsgeflecht aufzudecken und dein Ziel zu erreichen. Vergiss auch bitte nicht, dass hinter dem großen Strahlemann eine unsichere, möglicherweise depressive Person stecken kann. Mach Dich also auf radikale Stimmungsumschwünge gefasst.

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche isst jemand viel zu viel.
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M. A. / Beitragsbild, Foto: re)

Nachbar hört nachts Geräusche

Nachbar hört nachts Geräusche

Rosenheim – Jeden Donnerstag schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal lautet das Thema: „Nachbar hört nachts Geräusche“.

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
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Kopf

Wie soll man sich verhalten, wenn man es mit Menschen mit Wahnvorstellungen zu tun hat?

Nachbar hört nachts Geräusche

Die Oma hat Dir gesagt, dass Du dir als Jugendfußballer keine Illusionen machen sollst, irgendwann mal deutscher Meister zu werden. Und über den Betrunkenen im Park hat sie gesagt, dass der halluziniert, als der wirr von Mäusen geredet hat. Ja, was denn nun? Halluzination oder Illusion?

Zunächst einmal hat sie vermutlich mit beidem recht. Aber wo ist der Unterschied zwischen Illusion und Halluzination? Dazu ein Beispiel. Wenn ich nachts im Schlafzimmer einen dunklen Klumpen auf dem Boden liegen sehe, liegen da wahrscheinlich meine Socken. Wenn ich das Licht anmache, kann sich das als wahr herausstellen. Vielleicht hat mein Hund aber doch einen Haufen ins Schlafzimmer gepflanzt. Ich hätte dann etwas reales gesehen, es aber falsch gedeutet. Wenn beim Licht anschalten aber nichts dort lag, war das eine Halluzination. Weil eigentlich nichts da lag und ich mir das nur eingebildet habe.

So bist Du als Jugendfußballer eine reale Erscheinung, aber vermutlich täuschst Du dich – so leid es mir tut – wenn du denkst, dass du einmal deutscher Meister wirst. Und der Betrunkene hatte vermutlich Halluzinationen. Jedenfalls hat keiner außer ihm irgendwelche Mäuse gesehen.

Wenn es um deine eigenen Beobachtungen geht, kannst du leicht zwischen Illusionen und Halluzinationen unterschieden. Du musst nur das Licht anmachen. Aber so einfach ist das mit dem Nachbarn nicht, der vor kurzem behauptet hat, in der Nacht laute Geräusche gehört zu haben. Die Überzeugung, mit der er seine Beobachtung wiedergegeben hat, gibt genauso wenig einen Anhaltspunkt für den Wahrheitsgehalt wie eine etwaige Vorsicht, mit der er quasi hinter vorgehaltener Hand darüber berichtet.

Was steht also zu Auswahl? Alles von nächtlichen Renovierungsarbeiten über überlaut aufgedrehte Fernseher bis zu Halluzinationen eines möglicherweise schizophrenen Menschen. Schwierig wird es, wenn Du selbst nichts gehört hast. Den Licht-Test kannst du in diesem Fall nicht machen.
Wenn der Nachbar auf deine Nachfrage mehr und detaillierter über die nächtlichen Geräusche erzählt, ist das auch kein Hinweis auf den Wahrheitsgehalt. Schizophrene dichten oftmals etwas zu ihrer Geschichte hinzu, was auch dazu passt. Wenn die ergänzenden Schilderungen aber etwas grotesk werden und du auch merkst, dass sich der Nachbar mehr und mehr hineinsteigert, ist vielleicht etwas faul an der Sache. Erst recht, wenn der Nachbar etwas erzählt, von dem du sicher weißt, dass es nicht stimmt. Etwa, dass es vor wenigen Tagen um 1 Uhr nachts ganz laut war und Du genau zu dieser Zeit an der Quelle des vermeintlichen Lärms vorbeigekommen bist, und alles war ruhig.

„Aufdeckende Therapie“ hilft hier nichts

Nach solchen Ungereimtheiten gilt es zu suchen. Je mehr du ihn reden lässt, umso eher kommen sie zum Vorschein. Wenn Du eine entdeckt hast, versuch nicht, ihn zu belehren. Er wird das nicht annehmen. Sogenannte „aufdeckende Therapie“ geht bei wahnhaften Menschen fehl. Vielmehr besteht die Gefahr, dass ein ohnehin schon wahnhafter Mensch weitere Wahnideen entwickelt. Etwa dass in der Nacht nicht nur laute Geräusche gemacht werden, sondern auch, dass Nachbarn ihn verfolgen und ihm das ausreden wollen.
In solchen Situationen ist es wichtig, den Kontakt nicht zu verlieren. Du solltest dir klar machen, dass du allein dem Nachbarn nicht helfen kannst. Dazu benötigt man professionelle Hilfe. Eine solche dem Nachbarn vorzuschlagen, hat möglicherweise den gegenteiligen Effekt. Er könnte sich zurückziehen. Man sollte sie aber auf jeden Fall in aller Vorsicht anregen „… mal mit jemandem drüber zu reden“.

Grafik - Besuch beim Psychiater

Im Zweifel professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Kann man den Nachbarn nicht „zwangseinweisen“ lassen? Die Polizei zu holen, erscheint zunächst möglicherweise wenig sinnvoll, wenn der Nachbar keine Gefahr für sich oder andere darstellt. Das einzuschätzen, ist die Polizei jedoch ausgebildet. Vielleicht solltest Du mal mit ihr in aller Ruhe reden. Als mildere Stufe könnte man auch mit dem Krisendienst Psychiatrie Oberbayern (0800 655 3000) Kontakt aufnehmen.

Hast Du noch Fragen, frag mich. info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche „gerät jemand in absolute Panik“
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M.A. / Beitragsbild, Fotos: re)

Psychoanalyse

Psychoanalyse

RosenheimJeden Donnerstag schreibt der Rosenheimer Dr. Alexander Wurthmann M.A. auf Innpuls.me über ein psychologisches Thema und gibt Tipps, wie man damit umgehen kann. Diesmal erklärt er leicht verständlich, was Psychoanalyse überhaupt ist:

Portrait Alexander Wurthmann

Dr. Alexander Wurthmann M. A. Fotos: re

Zu Dr. Alexander Wurthmann: Der Rosenheimer mit rheinischen Wurzeln ist Sohn eines Schriftstellers. Er hat schon im Alter von 9 Jahren seine erste handgeschriebene Zeitung verfasst. Mitte der 70er Jahre studienhalber nach München. Abschlüsse in Politologie und Geschichte (Thomas Nipperdey). Oft als Reiseleiter in Japan und China. Dann viele Bildungsprojekte auf Bundes- und Länderebene gemanaged und schließlich fast 30 Jahre eine berufsbildende Schule betrieben. Nunmehr im fünften Jahr bei einer lebensberatenden Hotline im kirchlichen Bereich tätig und betreibt in Rosenheim eine Praxis für psychologische Beratung und Coaching.
Hier gibt es dazu weitere Infos: 

Schwarze Couch in Zimmer

Bei dem Begriff „Psychoanalyse“ denkt man erst einmal an eine Couch. 

Psychoanalyse

Bei dem Begriff „Psychoanalyse“ denkt man erst mal an eine lange Couch, auf der ein Patient liegt und etwas erzählt. Am Kopfende sitzt ein alter bärtiger Mann mit Brille auf einem Stuhl und schreibt etwas auf. Das ist nicht ganz falsch. Der Patient soll möglichst entspannt und unbeeinflusst erzählen, was ihn bewegt. Der Pionier der Methode hatte schon als junger Mann einen Bart und trug später eine Brille: Sigmund Freud.

Vor gut 100 Jahren hat er die Methode der Psychoanalyse entwickelt. Dabei geht es um die Beschreibung des Unbewussten, das jeder Mensch hat. Dieses hat großen Einfluss auf die Gedanken und Handlungen der Menschen.

Unbewusste entwickelt sich von Kindesbeinen an

Das Unbewusste entwickelt sich von Kindesbeinen an. Es wird beeinflusst von dem, was man erlebt. Dazu hat Freud verschiedene Stadien der Entwicklung vom Baby zum Erwachsenen beschrieben. Vom Aufbau einer Bindung zur Mutter zur allmählichen Abnabelung und Gewinnung einer eigenen Persönlichkeit. Wenn das Durchlaufen der einzelnen Entwicklungsstadien Schwierigkeiten bereitet, können psychische Störungen entstehen, die sich erst später zeigen. Zum Beispiel Angstzustände, Bindungsprobleme, Zwänge.
Die Psychoanalyse versucht nun, die Ursachen solcher Störungen herauszufinden und wenn möglich zu beheben. Der Patient soll zunächst möglich unbeeinflusst erzählen, was ihm in den Sinn kommt. Dazu können auch seine Träume erzählen. Der Psychoanalytiker schreibt einfach nur auf, was der Patient sagt. Zunächst wird nichts kommentiert oder gefragt. Das entspricht der eingangs geschilderten Szene.

Der Psychoanalytiker konzentriert sich auf vom Patienten geschilderte Konflikte. Diese entstehen bevorzugt durch Wünsche, die dem Kind, aber auch dem Heranwachsenden nicht erfüllt werden. Es können aber auch Wünsche sein, deren Erfüllung sich der Patient selbst untersagt hat. Um dies zu beschreiben, hat Freud ein Modell entwickelt, indem er einzelne Elemente des menschlichen Entscheidungsprozesses definiert. Er bezeichnet diese mit den Begriffen „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“. Das hast du vielleicht schon einmal gehört und ist mit Freud in etwa derart verbunden, wie sein Bart und seine Brille.

„Es“ , „Über-ich“ und „Ich“

Unter dem „Es“ versteht er nun die Wünsche und Bedürfnisse. Unter dem „Über-Ich“ die gesellschaftlichen Regeln. Aber auch das eigene Gewissen, das die Regeln beinhaltet. Das „Ich“ entscheidet nun, was der Mensch letztendlich macht.

Ein Beispiel. Das Es würde gerne ein Eis essen. Im Über-Ich werden nun die Regeln ins Spiel gebracht: „wolltest du nicht gerade abnehmen“, „mitten in der Nacht?“, „du hattest doch gerade schon eins“. Das Ich entschiedet nun, was geschieht und kann sich dabei auf die eine oder andere Seite schlagen. Oder vielleicht sogar einen genialen Kompromiss finden. Bei Eis oder nicht, wird es sich wohl entschieden müssen, fürchte ich. Das Ich kann das Abnehmen auf morgen verschieben, mitten in der Nacht zum Kühlschrank gehen oder ein zweites Eis essen. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, eine der beiden Seiten kommt weniger zum Tragen. Daraus entstehen Defizite und Konflikte, die mehr oder weniger gut verarbeitet werden bzw. Störungen in der psychischen Gesundheit des Patienten auslösen.

Auf die Suche nach schlecht verarbeiteten, unterdrückten früheren Konflikten begibt sich nun die Psychoanalyse. Sie orientiert sich dabei an den Abwehrmechanismen, die der Patient in seiner Erzählung entwickelt, um die beschriebenen Defizite nicht wahrnehmen zu müssen. Es gibt verschiedene Abwehrmechanismen. Verdrängung/Verleugnung ist einer der bekanntesten: „Ich wollte doch erst ab morgen abnehmen“, „Habe ich wirklich schon ein Eis gegessen?“. Oder Verschiebung. Statt dem Arbeitskollegen die Meinung zu sagen, wird der Hund geschimpft.

Nachdem der Patient umfänglich berichtet hat, was ihn bewegt, schaltet sich der Psychoanalytiker ein. Er identifiziert zunächst die entscheidenden Punkte des Konflikts und konfrontiert den Patienten damit. Nun werden die Ergebnisse diskutiert, der Psychoanalytiker macht Vorschläge für die Verarbeitung und für deren Umsetzung.

Psychoanalyse wird nicht mehr oft durchgeführt

Psychoanalyse wird heutzutage nicht mehr oft durchgeführt. Zum einen dauert es natürlich sehr lange, bis der Patient alles erzählt hat, was ihm so einfällt. Das kann schon mal Jahre dauern. Zum anderen gibt es inzwischen Therapien, die anders vorgehen, aber dem Patienten in sehr viel kürzerer Zeit helfen. Nicht zuletzt wurden Therapien entwickelt, die der Psychoanalyse verwandt sind, in der aber der Therapeut eine viel aktivere Rolle einnimmt. Er wartet nicht ab, bis der Patient alles erzählt hat, sondern lenkt das Gespräch gezielt in Richtung auf das vermutete Problem. Dadurch kann sehr viel Zeit eingespart werden.

Hast Du noch Fragen, frag mich: info@psychologische-beratung-rosenheim.de oder Telefon 0170/5395483.
Du kannst mir auch Themen vorschlagen, über die ich einmal schreiben sollte.

In der nächsten Woche geht es in meiner Kolumne über „Das Kind kommt nicht vom Handy los“ ADHS.
Alexander Wurthmann M.A.
(Quelle: Kolumne Dr. Alexander Wurthmann M.A. / Beitragsbild, Fotos: re)